Die radikalislamischen Milizen in Pakistan und Afghanistan missbrauchen zunehmend Kinder als Soldaten und für Selbstmordattentate.

Hamburg. Sohana Sawed ist neun Jahre alt und geht in die dritte Klasse in Peschawar in Pakistan. Doch ihr schmales Gesicht mit den traurigen Augen scheint um Jahre älter zu sein. Verloren blickt sie um sich; es ist fraglich, ob sie schon begriffen hat, was geschehen ist.

Die Polizei in der Stadt Timergarah im Distrikt Lower Dir hat Sohana zu einer Pressekonferenz mitgebracht, um die Öffentlichkeit über ein ungeheuerliches Verbrechen zu informieren.

Sie sei in Peschawar auf dem Schulweg gewesen, noch nicht weit von zu Hause entfernt, erzählt das Mädchen in blau-weißer Schuluniform; da sei sie von zwei Frauen ergriffen und zu einem Auto gezerrt worden, in dem zwei Männer saßen. Einer habe ihr ein Taschentuch auf Mund und Nase gedrückt, und sie sei bewusstlos geworden.

Das Mädchen ist traumatisiert und wird von einem Polizeipsychiater behandelt

Als sie zu sich gekommen sei und angefangen habe zu weinen, habe sie Kekse zu essen bekommen, nach deren Verzehr sie wieder ohnmächtig geworden sei. Als sie das zweite Mal wach wurde, "zogen sie mir eine Selbstmörder-Weste an, aber die passte gar nicht", berichtet Sohana. "Dann zogen sie mir eine andere an." Diese Weste enthielt rund neun Kilogramm hochbrisanten Sprengstoff, wie sich später herausstellte. Sie konnte offenbar ferngezündet werden, erläutert der Polizeichef von Lower Dir, Salim Marwat.

Die Terroristen brachten das Kind zu einem Kontrollposten der paramilitärischen pakistanischen Grenztruppen, des Frontier Corps, rund zehn Kilometer außerhalb von Timergarah, der Hauptstadt des Distrikts Lower Dir. Eine der Frauen ging mit Sohana an der Hand auf den Posten zu. "Ich nutzte die Chance, mich von der Frau loszureißen und wegzurennen." Das Mädchen zeigte den Sicherheitskräften noch im Laufen, was sie da am Leibe trug. Die Terroristen wandten sich angesichts der alarmierten Soldaten sofort zur Flucht und tauchten unter. Es ist unklar, warum sie nicht die Bombe zündeten. Polizeichef Marwat vermutet, dass sie einfach in Panik gerieten, aber es könnte auch ein technisches Versagen gewesen sein.

Die Polizei erklärte, Sohana Jawed sei traumatisiert und werde von einem Psychiater behandelt; weitere Informationen erhoffe man sich nach ihrer "Normalisierung".

In der letzten Zeit haben die radikalislamischen Taliban mehrfach Kinder als Selbstmordattentäter missbraucht. Es könnte ein Zeichen für eine zunehmend verzweifelte Lage sein, da pakistanische, vor allem aber amerikanische Truppen die Militanten stark unter Druck setzen und bereits viele Extremisten getötet haben.

Generalmajor Dan Allyn, Kommandeur der US-Truppen in Ostafghanistan, hatte kürzlich im amerikanischen Politikmagazin "National Journal" über diese neue Taktik der Taliban berichtet. Anfang Mai hatte sich ein Zwölfjähriger mit einer Bombenweste auf einem Markt in der afghanischen Provinz Paktika an der Grenze zu Pakistan in die Luft gesprengt. Vier Menschen starben, weitere zwölf wurden verletzt. Afghanistans Präsident Hamid Karsai verurteilte die Taliban-Taktik, Kinder zu rekrutieren, als "unmenschlich und gegen alle islamischen Prinzipien".

Wie das "National Journal" unter Berufung auf das afghanische Innenministerium berichtete, seien Ende Mai ein Neunjähriger und zwei weitere Jungen beim Versuch, die Grenze nach Pakistan zu überwinden, ergriffen worden. Sie hätten zugegeben, von den Taliban für Selbstmordanschläge ausgesandt worden zu sein. Nach einem Bericht des US-Nachrichtenportals Newser hatte am 3. April der 14-jährige Fida Hussain im Zuge eines blutigen Taliban-Anschlags auf einen Sufi-Schrein nahe der pakistanischen Stadt Dera Ghazi Khan vergeblich versucht, seine Sprengstoffweste auszulösen. Er zündete dann eine Handgranate, die seine Hand abriss, und wurde von der Polizei niedergeschossen. Hussain schrie, er wolle ein Märtyrer werden. Einen Tag später habe sich ein Kind an einer Bushaltestelle in die Luft gesprengt und sechs Menschen mit in den Tod gerissen. Mehr als zwei Dutzend verhinderte Selbstmordattentäter im Kindesalter befänden sich im Gewahrsam der pakistanischen Behörden.

Die radikalislamischen Taliban nutzen Kinder auch als Soldaten im Kampf

Das amerikanische Nachrichtenmagazin "USA Today" hatte im vergangenen Jahr berichtet, dass die Taliban damit begonnen hätten, Kinder im Kampfeinsatz zu benutzen, darunter Dreijährige. "Wir haben Kinder gesehen, die Granaten in Mörserrohre geworfen haben", zitierte "USA Today" einen Marineoffizier. "Ich habe noch nie eine Kultur gesehen, die menschliches Leben so gering achtet." Es hieß, die Kinder sammelten auch Patronenhülsen auf, legten Bombenfallen an Straßenrändern - und würden als Sex-Sklaven sowie im Kampf als menschliche Schutzschilde benutzt. (abendblatt.de)