Der Zustrom der Flüchtlinge aus Nordafrika nach Italien reißt nicht ab. Schmidbauer in Geheimmission in Tripolis

Hamburg/Lampedusa. Sie hocken dicht an dicht, etwa 100 Flüchtlinge in einem Boot der italienischen Armee, das gerade so groß ist wie die Ladefläche eines Lkw. Viele haben bunte Decken und Tücher um ihre Schultern und den Kopf gelegt. Gegen die Kälte, die sich auch im April noch über die Nächte der Mittelmeerinsel Lampedusa legt. Ihr Blick verrät Angst vor der Ungewissheit. Soldaten sichern das Militärboot mit den hohen Wänden aus Stahl, in dem die Flüchtlinge an das italienische Festland verschifft werden sollen.

Trotz verstärkter Kontrollen an den tunesischen Küsten fliehen die Menschen in Booten von Nordafrika nach Italien. Mittlerweise sind mehr als 750 Asylsuchende auf Lampedusa.

Bei einem Besuch auf der Insel forderte Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi von den anderen EU-Staaten die Aufnahme von Flüchtlingen und mehr Solidarität, um den "menschlichen Tsunami" zu bewältigen.

Heute wollen die EU-Innenminister bei einem Treffen in Luxemburg nach einer Haltung zum Umgang mit den Migranten suchen. Italien hatte angekündigt, tunesischen Flüchtlingen, die bis zu einem bestimmten Stichtag ankamen, befristete Aufenthaltsgenehmigungen zu geben. Damit könnten sie auch in andere EU-Staaten einreisen. Vor allem Frankreich befürchtet jetzt einen Flüchtlingsstrom. Aber auch Deutschland protestiert gegen das Vorgehen Italiens: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wolle beim Treffen in Luxemburg deutlich machen, dass dies gegen den Geist des Schengen-Abkommens verstoße, sagte ein Ministeriumssprecher.

In der Nacht auf Sonnabend erreichte ein aus Libyen kommendes Schiff mit mehr als 500 Menschen die Insel Lampedusa. Denn der Krieg zwischen den Truppen des Diktators Muammar al-Gaddafi und den Rebellen geht mit aller Härte weiter. Die Truppen Gaddafis und die Aufständischen kämpften am Wochenende um die Kontrolle über die strategisch wichtige Stadt Adschdabija. Mindestens elf Menschen wurden getötet. Cilina Nasser von Amnesty International zeigt sich besorgt über die Situation der Zivilisten in der Krisenregion: "Wir haben Berichte darüber, dass Gaddafis Truppen auch auf Menschen schießen, die vor den Kämpfen aus der Stadt fliehen", sagte Nasser dem Hamburger Abendblatt. Doch auch von den Rebellen gehe eine Gefahr für die Zivilisten aus. "Die Kämpfer sind teilweise chaotisch organisiert. Sie kennen die Regeln des Krieges genauso wenig wie die Menschenrechte", hebt Nasser hervor. Sie selbst reiste nach dem Ausbruch der Kämpfe nach Libyen. Auch die Lage der Menschen in Misrata ist verzweifelt. Die Küstenstadt wird seit 40 Tagen von Gaddafi-Truppen belagert, die Menschen leben ohne Strom und Wasser.

Angesichts der verfahrenen militärischen Lage verstärkt die internationale Gemeinschaft ihre Bemühungen um eine Waffenruhe. Eine hochrangige Vermittlergruppe der Afrikanischen Union forderte die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen. Die Präsidenten fünf afrikanischer Staaten reisten gestern nach Tripolis. In der Hauptstadt wollte sie Machthaber Gaddafi eine "Übergangsperiode" vorschlagen.

Auch der frühere Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, Bernd Schmidbauer, bemüht sich nach eigenen Angaben um Gespräche zwischen dem Regime von Gaddafi und dem Westen. "Die Regierung möchte Gespräche auf Augenhöhe, bei denen es auch um eine neue Verfassung gehen soll", sagte Schmidbauer. Er habe die Bundesregierung über seine Reise und den Inhalt der Gespräche informiert.

Die EU bereitet sich derweil auf humanitäre Einsätze vor. Die Entscheidung steht nach Ansicht von EU-Diplomaten kurz bevor. Eine entsprechende Anfrage der Vereinten Nationen wird Anfang dieser Woche erwartet.

Im Bundestag zeichnet sich zwar eine Mehrheit für den Einsatz deutscher Soldaten ab, doch sieht man die EU-Mission auch kritisch. Aus Sicht von SPD-Fraktionsvize Gernot Erler könne eine Beteiligung an einer humanitären Eingreiftruppe der EU durchaus bedeuten, dass man mit Bodentruppen kämpfen müsse.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz, hat sich klar gegen eine Waffenlieferung der westlichen Staaten an die Rebellen in Libyen ausgesprochen. "Deutschland und die anderen Nato-Staaten sollten keine Waffen und militärischen Fahrzeuge an die Rebellen liefern", sagte der CDU-Politiker dem Abendblatt. Bei den Rüstungsexporten nach Libyen dürfe das Embargo nicht nur für die Truppen Gaddafis gelten. Die Resolution der UN beinhalte ein komplettes Waffenembargo, sagte der Außenpolitik-Experte.

Gleichzeitig forderte Polenz die Bundesregierung dazu auf, sich stärker für die Einbindung der arabischen Staaten in die Uno-Mission einzusetzen. "Arabische Nationen könnten sich auch bei der Sicherung der Seewege in dem Krisengebiet beteiligen", sagte Polenz. Nur durch die Einbindung dieser Länder könne der Westen verhindern, dass Gaddafis Propaganda eines neokolonialen Angriffskrieges des Westens bei den Menschen auf fruchtbaren Boden falle, ergänzte der CDU-Politiker.