Der Bündnis-Streit ist beigelegt. Die Bundesregierung verteidigt ihre Position zu Libyen. Außenminister Westerwelle sieht “Risiko der Eskalation“.

Hamburg. Den Durchbruch brachte ein Telefongespräch von US-Außenministerin Hillary Clinton mit ihren Kollegen William Hague (Großbritannien), Alain Juppé (Frankreich) und Ahmet Davutoglu (Türkei): Nach sechstägigem erbitterten Streit haben sich die 28 Nato-Staaten doch noch auf die Übernahme des Kommandos zur Durchsetzung der Flugverbotszone in Libyen geeinigt. Es gehe darum, Zivilisten in Libyen vor dem Gaddafi-Regime zu schützen, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gestern Abend in Brüssel. Das Mandat der Nato gehe aber nicht über die Durchsetzung der Flugverbotszone hinaus.

Jene Staaten der westlichen "Koalition" wie Frankreich oder Großbritannien, die unter Berufung auf die Resolution des Uno-Sicherheitsrates zum Schutz der Zivilbevölkerung auch Bombardierungen von militärischen Zielen für nötig halten, könnten dies weiterhin außerhalb der Verantwortung der Nato tun, hieß es in Brüssel. Die Nato soll dem Kompromiss zufolge für die militärische Leitung des Einsatzes zuständig sein. Die politische Oberaufsicht der Nato-Operation soll ein ständiger Leitungsausschuss führen. In diesem Ausschuss sind jene Regierungen vertreten, die an dem Einsatz teilnehmen - also auch Nicht-Nato-Staaten. Ein erstes Treffen dieser Gruppe ist bereits für den 29. März in London geplant.

Die USA hatten darauf gedrungen, eine Entscheidung über die Rolle des Bündnisses zu finden. Diese müsse es Washington erlauben, sich bereits innerhalb weniger Tage aus der Führungsrolle innerhalb der "Koalition" zurückzuziehen. Die USA könnten das Kommando im Waffengang gegen Libyen "frühestens am Wochenende übergeben", sagte US-Vizeadmiral William Gortney in Washington.

Auch am sechsten Tag heftiger Luftangriffe der alliierten Staaten USA, Frankreich und Großbritannien auf Stellungen der libyschen Armee war gestern kein Einlenken von Diktator Muammar al-Gaddafi zu erkennen - obwohl die westliche Militärallianz ihre Attacken jetzt auch auf das Landesinnere ausgeweitet hat. Regimetreue Truppen rückten in die drittgrößte Stadt Misrata ein. Einwohner berichteten, dass die Gaddafi-Truppen den Hafen der Stadt kontrollieren. Tausende Gastarbeiter, die Libyen auf dem Seeweg verlassen wollten, säßen nun fest.

Die westliche Militärallianz bombardierte gestern Teile von Tripolis - darunter auch Gaddafis Residenz Bab al-Asisija in einem weitläufigen Kasernenkomplex -, den Ort Sabja weit im Süden des Landes sowie den Militärflughafen von Al-Dschufra im Süden. Die Regierung in Tripolis teilte mit, bei den Angriffen sei "eine große Zahl von Zivilisten" getötet worden, und zeigte Fernsehbilder von verkohlten Opfern in einem Leichenschauhaus. Die Allianz bezweifelte die Angaben. "Wir zielen auf militärische Mittel und sonst nichts", versicherte Frankreichs Außenminister Alain Juppé dem Sender RTL. Der Finanzminister im libyschen Schattenkabinett der Rebellen, Ali Tarhouni, vor einer Woche nach 35 Jahren im US-Exil nach Libyen zurückgekehrt, sagte der "New York Times", den Aufständischen stünden nur rund 1000 Kämpfer zur Verfügung. Wie viele eine militärische Ausbildung haben, sagte Tarhouni nicht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidigte noch einmal die Haltung der Bundesregierung in der Libyen-Krise. Deutschland habe sich bei der Libyen-Resolution im Uno-Sicherheitsrat enthalten, weil ihre Regierung Bedenken hinsichtlich der militärischen Umsetzung der Resolution habe, sagte Merkel in einer Regierungserklärung. Sie forderte ein komplettes Ölembargo gegen Libyen und weitreichende Handelsbeschränkungen.

Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sieht den Militäreinsatz weiterhin "mit Skepsis"; es bestehe das "Risiko einer Eskalation". Westerwelle fragte, was geschehen solle, wenn die Luftschläge nicht ihr Ziel erreichten: "Gehen dann doch noch Bodentruppen rein?"

Über den früheren Außenminister Joschka Fischer, der die deutsche Haltung als "skandalösen Fehler" bezeichnet hatte, sagte Westerwelle in der "Süddeutschen Zeitung", Fischer habe "so viele Soldaten wie kein Bundesaußenminister vor und nach ihm in neue Kampfeinsätze geschickt".

Entwicklungshilfeminister Dirk Nebel (FDP) warf den beteiligten Nationen im "Tagessspiegel" vor, sie hätten kein politisches Konzept für die Zukunft Libyens. "Man muss wissen, wie man ein militärisches Engagement wieder beendet - bevor man es beginnt."