Historische Wegmarke: Das Wahlvolk konnte über eine Verfassungsreform abstimmen. Neuwahlen sollen folgen. Der Andrang der Bürger war groß.

Kairo. Fünf Wochen nach dem Sturz des langjährigen Staatspräsidenten Husni Mubarak haben die Menschen in Ägypten für eine Verfassungsänderung gestimmt, die parteilosen Politikern die Kandidatur bei der nächsten Präsidentenwahl erleichtert. Nach Angaben des Wahlleiters stimmten rund 77 Prozent der Wähler für die neue Verfassung, die im Auftrag der Militärführung von einem Juristenkomitee ausgearbeitet worden war. Die Beteiligung lag bei etwa 41 Prozent und war damit deutlich höher als bei früheren Volksabstimmungen.

Unter anderem sieht das Änderungspaket eine weitgehende Abschaffung der Zulassungsvoraussetzungen für Präsidentschaftskandidaten vor sowie eine Limitierung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei je vierjährige Amtsperioden. Geplant ist außerdem, alle Abstimmungen von der Justiz überwachen zu lassen und sie somit dem Einflussbereich des Polizeiministeriums zu entziehen. Notstandsgesetze sollen mit der Zustimmung eines gewählten Parlaments nur noch für einen Zeitraum von sechs Monaten erlassen werden dürfen. Danach soll in einer Volksabstimmung über eine etwaige Verlängerung entschieden werden. In den vergangenen 30 Jahren wurden die Notstandsgesetze von Mubaraks Regime zur Unterdrückung jeglicher Opposition genutzt. Für den Fall, dass die Reform beschlossen wird, hat der seit Mubaraks Sturz regierende Militärrat angekündigt, innerhalb von sechs Monaten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abzuhalten.

Das Referendum über insgesamt neun Verfassungsänderungen gilt als erster Test für den vom Volk erzwungenen Übergang zur Demokratie. Seit Jahrzehnten waren Abstimmungen in Ägypten von umfangreichen Manipulationen begleitet gewesen. Nun gilt die große Wahlbeteiligung Beobachtern indes als Indikator dafür, dass die Bürger offenbar neues Vertrauen in das politische System gefasst haben.

Die Abstimmung wurde von einem Angriff auf den Oppositionspolitiker Mohammed al-Baradei überschattet. Eine aufgebrachte Menge bewarf den Friedensnobelpreisträger und dessen Begleiter vor einem Wahllokal im Kairoer Bezirk Mokkattam mit Steinen. Al-Baradei blieb unverletzt, musste aber in einem Geländewagen fliehen, ohne seine Stimme abgegeben zu haben. Al-Baradei, der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, und andere Kritiker haben sich gegen voreilige Verfassungsänderungen ausgesprochen.

Sie warnen vor einer Schwächung der Demokratie, falls diese zu voreilig eingeführt werde. Andere Kritiker fordern überdies, dass die gesamte Verfassung kassiert und vollkommen überarbeitet werden müsse. Die Befürworter einer raschen Rückkehr zur Zivilregierung, darunter die Muslimbruderschaft, erhoffen sich von den Verfassungsänderungen eine Stabilisierung der Wirtschaft.