Explosionen und ein Brand verschärfen Lage in japanischem AKW

Tokio/Hamburg. Im Angesicht der Katastrophe sind es hilflose Appelle. Japans Ministerpräsident Naoto Kan ruft 140 000 Menschen im Umkreis von 30 Kilometern um das Kraftwerk Fukushima dazu auf, in ihren Häusern zu bleiben und Türen und Fenster luftdicht zu verkleben. Sie sollen sich selbst schützen vor der nuklearen Gefahr, die den Japanern droht. Südlich von Fukushima meldeten die Behörden Strahlungswerte, die rund 100-mal so hoch waren wie normal. Solche Zahlen sind laut Experten besorgniserregend, allerdings nicht tödlich.

Auch am Tag vier nach der Erdbebenkatastrophe bleibt die Ungewissheit darüber, ob und wie lange das Kraftwerk im Nordosten Japans noch hält. Die Nachrichten sind widersprüchlich. Sicher scheint nur, dass sich die Situation in den Reaktoren zuspitzt: Feuer, Explosionen und überkochende Becken mit Brennstäben in den Kernkraftwerken. Am frühen Dienstagmorgen Ortszeit ereignete sich zunächst in Reaktor 2 eine "große Explosion", wie AKW-Betreiber Tepco mitteilte. Unklar war, ob dabei der Schutzmantel des Reaktors zerstört wurde. Glaubt man der japanischen Regierung, ist dies offenbar passiert. Dagegen schildert Japans Atomsicherheitsbehörde, dass es keine Löcher in der Schutzhülle gebe. Dann wieder hieß es, die Frage werde noch untersucht. Der Chef der französischen Atomsicherheitsbehörde ASN, André-Claude Lacoste, erklärte, der Schutzmantel sei nicht mehr dicht.

Zu dem Feuer in dem Kraftwerk erklärte die Internationale Atomenergiebehörde, es habe sich in einem Lager für verbrauchte Brennstäbe ereignet. Radioaktivität sei dabei in die Atmosphäre gelangt. Das Feuer konnte mithilfe von US-Soldaten gelöscht werden. Allerdings soll das Wasser in einem Abklingbecken gekocht haben. Zuvor hatte sich in einem anderen Block des AKW eine Explosion ereignet. Es war bereits die dritte im Kraftwerk seit Sonnabend.

Techniker kämpfen seit dem Erdbeben vom Freitag mit allen Mitteln darum, eine Kernschmelze in den sechs Reaktoren des AKW zu verhindern. Kühlsysteme sind ausgefallen. Nach Einschätzung der ASN hat der Atomunfall die Stufe 6 und damit die zweithöchste Stufe der siebenstufigen Internationalen Bewertungsskala erreicht. Der Unfall wäre dann nach der Tschernobylkatastrophe der Stufe 7 der zweitschlimmste der Geschichte. Japan hatte bislang von Stufe 4 gesprochen.

Es hängt jetzt auch vieles vom Wind ab. Gestern blies er in Richtung Meer. Dreht er in die falsche Richtig, droht den 35 Millionen Menschen in Japans Hauptstadt Tokio eine nukleare Katastrophe, deren Ausmaß bisher nur schwer vorhersehbar ist.

In Tokio wurden gestern nur leicht erhöhte Strahlenwerte gemessen. Die Menge sei äußerst gering, sagte ein Regierungssprecher. Zudem seien geringe Mengen der radioaktiven Substanzen Jod und Cäsium in Tokio entdeckt worden, berichtete die Stadtverwaltung. Gesundheitliche Bedenken gebe es nicht. Dennoch verließen zahlreiche Menschen Tokio, andere deckten sich mit Atemmasken und Notfallversorgungsmitteln ein. Sie bereiten sich auf das Schlimmste vor.