Westerwelle will Finanzbeziehungen zu Libyen aussetzen. 50 Deutsche ausgereist

Brüssel/Berlin. Nach den USA und den Vereinten Nationen hat auch die Europäische Union Sanktionen gegen das Regime von Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi beschlossen. 26 Personen - darunter Gaddafi selbst und Mitglieder seiner Familie - dürfen ab sofort nicht mehr in EU-Länder einreisen. Auch die Vermögen der Familie und von Regierungsmitgliedern auf europäischen Konten werden eingefroren. Zudem beschloss die EU ein Embargo für Waffen und andere Güter, die zur Unterdrückung der Bevölkerung eingesetzt werden können.

Die Europäer gingen über die von den Vereinten Nationen beschlossenen Maßnahmen noch hinaus, sagte ein Vertreter der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft. Von einem Importverbot von Öl und Gas aus Libyen sah Brüssel aber ab. Dies würde nur die Bevölkerung des Landes treffen, sagte EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Etwa 60 Prozent der Wirtschaftsleistung Libyens stammen von Energieexporten.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte den Sanktionsbeschluss. Er war offenbar auch eine treibende Kraft, während sich Länder wie Italien, Zypern und Malta schwertaten, weil sie wirtschaftlich eng mit Libyen verbunden sind. Die "unzweideutige Botschaft" an Libyen, so Westerwelle, laute: "Wer sein Volk mit Terror überzieht, hat seine Legitimation verloren und wird zur Verantwortung gezogen." Deutschland sei bereit, die Finanzbeziehungen zu Libyen für 60 Tage auszusetzen. Damit solle sichergestellt werden, dass Gaddafi kein weiteres Geld erhalte, um Söldner anzuwerben. Westerwelle schlug zugleich einen Nord-Süd-Pakt vor, der die Demokratiebewegung in Nordafrika unterstützen soll. "Es ist unsere Pflicht, diese großartigen Männer und Frauen zu unterstützen. Sie fordern nichts anderes als ihnen zusteht", so Westerwelle.

Angesichts der anhaltenden Gewalt in Libyen haben gestern rund 35 weitere Deutsche das Land verlassen. Die Bundesbürger seien bei ihrer Ausreise aus Libyen unterstützt worden, teilte das Auswärtige Amt in Berlin mit. Nach jetzigem Kenntnisstand befinden sich demnach noch 36 Deutsche in der libyschen Hauptstadt Tripolis und 15 weitere in anderen Landesteilen.

Der Krisenstab des Auswärtigen Amts und die deutsche Botschaft in Tripolis prüften weiter, wie Deutsche auf dem Land-, See- oder Luftweg das Land verlassen könnten, teilte das Ministerium mit. Bei Bedarf könne erneut die Bundeswehr eingesetzt werden. Diese halte nach wie vor Transall-Maschinen sowie einen Ausbildungsverband der Marine bereit, so das Außenministerium. "Da werden alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen, der Landweg, der Luftweg und der Seeweg", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Bereits am Wochenende hatten zwei Transall-Flugzeuge der Bundeswehr 132 Menschen verschiedener Nationalitäten aus Libyen ausgeflogen, unter ihnen 50 Deutsche.

Unterdessen haben Gaddafis Gefolgsleute ihre Kontrolle über die Hauptstadt Tripolis ausgebaut, um jegliche Anzeichen von Protest zu ersticken. Überall in der Stadt waren nach Augenzeugenberichten Kontrollposten besetzt und Streifen unterwegs. Die im Osten erfolgreiche Opposition konsolidierte ihre Macht und bildete in der zweitgrößten Stadt Bengasi einen Übergangsrat.

In Tripolis öffneten am Montag einige Geschäfte, die Preise für Lebensmittel schossen um bis zu 500 Prozent in die Höhe. In den westlichen Städten Sawija und Misrata erwarteten Einwohner und Anhänger der Opposition Offensiven von loyal zu Gaddafi stehenden Einheiten. In Misrata gab es in der Nacht Gefechte auf einem großen Luftwaffenstützpunkt vor den Toren der drittgrößten libyschen Stadt.

Frankreich kündigte die erste humanitäre Hilfe aus dem Westen für Libyen an. Zwei Militärmaschinen sollten dringend benötigte Hilfsgüter in den Osten des Landes fliegen, sagte Premierminister François Fillon.

Der britische Premierminister David Cameron bestätigte Planungen für eine Flugverbotszone über Libyen und erklärte, es liefen bereits Beratungen mit den Verbündeten. Die Anwendung militärischer Gewalt schließe er "in keiner Weise" aus. Ob das bedeutet, dass Großbritannien und seine Verbündeten libysche Flugzeuge sofort am Fliegen im Luftraum des nordafrikanischen Landes hindern wollten, oder ob nur Planungen für den Fall einer weiteren Eskalation der Gewalt vorgenommen würden, sagte Cameron nicht.