Vor allem der Ölreichtum und die Rückführung von Flüchtlingen verschafften Gaddafi Ansehen und gute Geschäfte

Hamburg. Muammar al-Gaddafi herrscht brutal und autokratisch seit mehr als 40 Jahren über das ölreiche Libyen. Seit er dem internationalen Terrorismus abgeschworen hat und für Europa die Flüchtlingswellen aus dem Schwarzen Kontinent fernhält, ist der einst isolierte "Revolutionsführer" vom reinen Handels- auch zum politischen Partner des Westens aufgestiegen. Der Besuch des damaligen britischen Premierministers Tony Blair bei Gaddafi im Jahr 2004 sollte ein entscheidendes Zeichen setzen. Libyen sollte Modell dafür stehen, dass auch "Schurkenstaaten" zurück in die internationale Gemeinschaft geholt werden könnten. Symbolisch reichten sich Blair und Gaddafi die "Hand der Freundschaft".

Ergebnisse für die Briten folgten schnell. Kurz nach dem Treffen wurden erste Vereinbaruneng britischer Unternehmen über Öl- und Gasförderung sowie über Waffenverkäufe bekannt. Kritiker schlugen schon damals laut Alarm, hinter Großbritanniens Lob des "neuen" Gaddafi stehe nichts als reines Wirtschaftsinteresse.

Die USA und Frankreich zogen in den Jahren darauf beim Handel nach. Doch das Verhältnis zwischen Libyen und den Briten bleibt ein besonderes. Am 20. August 2009 fällt die folgenschwere Entscheidung, die die öffentliche Meinung auf der Insel über die Zusammenarbeit mit dem Regime in Tripolis zum Umsturz bringt. Der Lockerbie-Attentäter Abdel Bassit Ali Mohammed al-Megrahi wird freigelassen und darf in seine Heimat zurückkehren.

Der ehemalige Geheimdienstmann al-Megrahi war der Einzige, der jemals für das Bombenattentat auf ein US-Passagierflugzeug über dem schottischen Ort Lockerbie im Jahr 1988 verurteilt worden war. 270 Menschen waren dabei gestorben. Der an Krebs erkrankte al-Megrahi hatte erst acht Jahre seiner Strafe abgesessen. Ärzte sagten ihm jedoch voraus, er habe höchstens noch drei Monate zu leben. Heute lebt al-Megrahi immer noch, und die wahren Gründe für seine Freilassung sind unklar. Machte etwa der Ölkonzern BP entscheidend Druck?

Seit 2008 verbindet Libyen und Italien ein Freundschaftsvertrag - unterzeichnet von Gaddafi und Premierminister Silvio Berlusconi. Rom verpflichtete sich darin zu Milliardenzahlungen über zwei Jahrzehnte, um Wunden der Kolonialzeit zu heilen. Seitdem traf sich der italienische Regierungschef elfmal mit dem Herrscher aus Tripolis. Hinter der extravaganten Männerfreundschaft stehen jedoch handfeste Interessen auf beiden Seiten. So ist Italien einer der wichtigsten Handelspartner des nordafrikanischen Staates. Auch in brennenden Flüchtlingsfragen baute Rom bisher auf Hilfe aus Tripolis. Hatten zwischen Juli 2008 und 2009 noch rund 20 000 Migranten aus Nordafrika die winzige Flüchtlingsinsel Lampedusa erreicht, waren es im Folgejahr nur noch einige Hundert. Auf der Basis einer fragwürdigen bilateralen Sonderabmachung wurden die brüchigen Fischerkähne in libysch-italienischer Kooperation auf See abgefangen und die Bootsflüchtlinge postwendend nach Nordafrika zurückgebracht.

An Deutschland näherte sich Gaddafi durch seine Vermittlung in dem Geiseldrama um die Familie Wallert im Jahr 2000 an. Im Oktober 2004 besuchte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) das Land. Sein Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) besuchte Gaddafi zwei Jahre später. 2009 reiste der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zu einem offiziellen Besuch nach Tripolis und eröffnete zusammen mit seinem libyschen Amtskollegen das 11. Deutsch-Libysche Wirtschaftstreffen.

Das Interesse der Bundesregierung ist naheliegend: Etwa jeder 14. Liter nach Deutschland gelieferten Rohöls stammt aus Libyen.