Ägyptens Staatspräsident lehnt sofortigen Rücktritt ab. Wütende Proteste der Regierungsgegner in Kairo

Kairo/Washington. "Alle eure Forderungen werden heute erfüllt": Für Zehntausende von Demonstranten auf dem Tahrir-Platz müssen es erlösende Worte gewesen sein, die ihnen der für den Großraum Kairo zuständige General Hassan Rueini am Nachmittag verkündete. Ägyptens Präsident Husni Mubarak habe sich offenbar doch zum Rücktritt entschlossen.

Doch als am Abend die mit Spannung erwartete Rede von Mubarak live im Staatsfernsehen übertragen wurde, schlug die Vorfreude in Entsetzen und Wut um. Hunderttausende Demonstranten zogen anschließend ins Zentrum von Kairo. Die aufgebrachte Menschenmenge auf dem Tahrir-Platz zeigte dem Staatschef symbolisch Schuhsohlen - als Zeichen der Verachtung. Die Protestierer schrien zudem "Mubarak weg, Suleiman weg". Am 17. Tag der Proteste gegen sein Regime hatte Mubarak Minuten zuvor angekündigt, Amtsvollmachten an seinen Stellvertreter Omar Suleiman abzugeben. In einer Rede an die Nation lehnte er zugleich aber einen vollständigen Rücktritt von der Macht ab. Mubarak sagte, dass er die Umsetzung der versprochenen Reformen und eine friedliche Übergabe der Macht selbst überwachen wolle. Er sei bereit zu weiteren Verfassungsänderungen, um einen sanften Machtübergang und freie und faire Wahlen zu sichern. "Ich bin entschlossen, alle Versprechen zu erfüllen", sagte Mubarak. Er erkenne die Forderung der ägyptischen Jugend, die von einer besseren Zukunft träume, vollständig an. Er habe bereits die Änderung von sechs Artikeln der Verfassung veranlasst, sagte Mubarak, darunter auch die Bestimmungen über die Zulassung von Kandidaten zur Präsidentschaftswahl. Außerdem versprach er, die für die Gewalt Verantwortlichen zu bestrafen. Mubarak: "Ich werde mich aber keinem Druck aus dem Ausland beugen."

Vizepräsident Omar Suleiman rief nach der Übernahme von Präsidentenvollmachten das ägyptische Volk auf, vereint in die Zukunft zu schauen und kein Chaos zu erlauben. "Die Tür für den Dialog ist noch immer offen", sagte Suleiman. "Lasst einander die Hand geben und nach vorn schauen", sagte er. "Geht nach Hause, geht zur Arbeit, das Land braucht euch."

Es war das Ende eines Tages voller Gerüchte und Dementis. Der neue Generalsekretär der ägyptischen Regierungspartei NDP, Hossam Badrawi, hatte sich bereits an die Demonstranten gewandt: "Sie haben gewonnen." Und: Er wäre überrascht, wenn Mubarak am nächsten Morgen noch Präsident wäre, sagte Badrawi dem britischen Rundfunksender BBC. Allerdings wollte er sich nicht auf den Begriff "Rücktritt" festlegen, sondern sprach vielmehr von "Beiseitetreten".

Der oberste Rat der ägyptischen Streitkräfte hatte gestern bereits ohne Mubarak getagt. Im Staatsfernsehen gab der Rat seine "Unterstützung der legitimen Forderungen des Volkes" bekannt. Die Armee habe damit begonnen, die notwendigen "Maßnahmen" zu ergreifen, "um die Nation zu schützen".

Der gestrige Donnerstag geht wahrscheinlich als der Tag in die Geschichte ein, an dem hinter den Kulissen des Machtapparats entscheidende Schlachten geschlagen wurden. Denn noch gestern hatte die ägyptische Regierung den Demonstranten im Falle einer Fortsetzung ihrer Proteste indirekt erneut mit der Verhängung des Kriegsrechts gedroht. Sollten "Abenteurer" den Reformprozess übernehmen, würden sich die Streitkräfte gezwungen sehen, "die Verfassung und die nationale Sicherheit zu verteidigen, und wir werden uns in einer sehr schwierigen Situation wiederfinden", sagte Außenminister Ahmed Aboul Gheit dem Fernsehsender al-Arabija.

Dennoch waren wieder Tausende von Menschen auf die Straßen gegangen. In der Stadt Port Said machten sich 4000 Demonstranten auf den Weg zum örtlichen Hauptquartier des staatlichen Sicherheitsdienstes. Nachdem sie die Leute im Gebäude zum Verlassen aufgefordert hatten, legten sie Feuer und zündeten sechs Polizeiautos an.

Die ägyptische Staatsanwaltschaft hat inzwischen Korruptionsermittlungen gegen drei ehemalige Minister und einen ranghohen Parteifunktionär eingeleitet. Das berichtete das staatliche ägyptische Fernsehen. Ermittelt werde gegen den früheren Wirtschaftsminister Rachid Mohammed Rachid, den früheren Tourismusminister Suhair Garana und den früheren Wohnungsbauminister Ahmed Maghrabi. Zudem werde gegen einen hohen früheren Funktionär der Regierungspartei NDP, den Stahlmilliardär Ahmed Ess, ermittelt. Ess, der auch Parlamentsabgeordneter ist, ist ein enger Vertrauter von Gamal Mubarak, dem Sohn von Präsident Husni Mubarak. Die drei Minister gehörten dem Kabinett an, das kürzlich von Mubarak angesichts der Massenproteste entlassen worden war. Ein Gericht in Kairo verhängte Ausreiseverbote.

Noch immer herrscht in Kairo und anderen großen Städten der Ausnahmezustand. Außenminister Ahmed Aboul Geith sprach sich vorerst dagegen aus, ihn aufzuheben, wie Washington verlangt hatte. Durch die Unruhen seien 17 000 Häftlinge aus Gefängnissen ausgebrochen, sagte der Minister in einem Interview mit dem Sender PSB. "Wie kann man von mir verlangen, den Ausnahmezustand aufzuheben, wenn ich in einer solch schwierigen Lage bin?"

Mubarak geht nur ein bisschen - was heißt das für Berlin? Viele Jahre lang war Husni Mubarak ein wichtiger Partner in Nahost. Die Region ist für Deutschland schon aus historischen Gründen extrem wichtig. Seine strategische Rolle ist herausragend, seine Strände und seine Sehenswürdigkeiten sind bei deutschen Touristen hoch beliebt - und es grenzt unmittelbar an Israel, dessen Schutz seit Gründung der Bundesrepublik deutsche Staatsräson ist. Berlin braucht eine berechenbare Größe im Pulverfass Nahost. Vieles wird davon abhängen, wie Vizepräsident Suleiman, der bisher als Freund Israels galt, die straff organisierte Muslimbrüderschaft in den Griff bekommt.

Für Israel werden mit der Ära des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak drei Jahrzehnte der Stabilität zu Ende gehen. Auch wenn zwischen den beiden Nachbarländern seit 1979 nur ein "kalter Frieden" ohne echte Annäherung beider Völker herrschte, so gab es doch eine dauerhafte Abwesenheit von Krieg. Und das ist im Krisenherd Nahost sehr viel wert.

Unsicherheit herrscht auch in den USA. Die größte Sorge von US-Präsident Barack Obama, ist, dass Mubarak ein Machtvakuum hinterlässt, das nicht nur Ägypten, sondern die ganze Region ins Chaos stürzt.