Viele der armen Einwohner misstrauen den Demonstranten. Gegner des Präsidenten gewinnen bei den Straßenschlachten in Kairo offenbar Oberhand

Kairo. Ein großer Supermarkt in der Nähe der Vorstadt Scheich Sajed steht in Flammen. Plünderer dringen in das Gebäude ein. Im Zentrum Kairos brennt ein Haus neben einem Luxushotel in Nilnähe. Aus dem Bezirk Schubra nördlich der Innenstadt werden ebenfalls Brände gemeldet. Bei den Straßenschlachten zwischen Gegnern und Anhängern des ägyptischen Staatspräsidenten Husni Mubarak ist es gestern Nachmittag zu einem heftigen Feuergefecht gekommen. Mindestens ein Mensch wurde davongetragen. Die Gegner Mubaraks schienen im Laufe des Tages wieder die Oberhand zu gewinnen. Panzer räumten eine Überführung am Tahrir-Platz, von der Mubarak-Anhänger Brandsätze auf Demonstranten geschleudert hatten. Die Streitkräfte, die am Vormittag zwischen den verfeindeten Lagern in Stellung gegangen waren, schritten zunächst nicht ein. Auf dem Platz der Befreiung hatte es bereits am Morgen mindestens drei Tote bei einer Schießerei gegeben. 600 Menschen wurden bei Ausschreitungen verletzt.

Die Zusammenstöße in Kairo zeigen, dass längst nicht alle 80 Millionen Ägypter Präsident Husni Mubarak stürzen und mit Wahlen einen neuen Anfang machen wollen. Viele sind dem herrschenden System stark verhaftet und bereit, dafür zu kämpfen. Sie hätten viel zu verlieren, wenn Mubarak fällt. Geschäftsleute mit üppigen Staatsaufträgen, Beamte, Sicherheitskräfte, Parteifunktionäre und Arme, denen die Ungewissheit Angst macht - ihnen allen ist daran gelegen, sicherzustellen, dass sich möglichst wenig ändert, egal, was nach Mubarak kommt. Mag das Land auch von revolutionärem Schwung ergriffen sein, die Ereignisse dieser Woche beweisen, dass die Hüter der herrschenden Ordnung immer noch enormen Einfluss in dem Land haben.

"Es gab Probleme zu Mubaraks Zeit, aber wenigstens hatten wir Stabilität", sagt Geschäftsmann Maher Salman, 37, der seine Unterstützung für den Präsidenten kundtut. "Wenn er geht, werden wir wie der Irak und Tunesien. Wir wollen nicht, dass alles verloren geht, was wir die letzten 30 Jahre erreicht haben." Salman scheint Mubarak wirklich zu mögen wie die meisten der Pro-Mubarak-Demonstranten. Es gibt aber auch deutliche Hinweise darauf, dass die Gegendemonstration von oben inszeniert wurde, was bedeutet, dass sich einflussreiche Kräfte in Stellung bringen. Die Konfrontation "wird sehr gefährlich", sagt der Schriftsteller und Reformer Alaa al-Aswani. "Der Sturz des Regimes wird nicht nur dem Präsidenten schaden, sondern allen Leuten mit Verbindung zum Präsidenten." Nicht nur den Reichen und Mächtigen jagt der Abgang des einzigen Präsidenten, den viele Ägypter erlebt haben, Schrecken ein. Schon jetzt leidet die Wirtschaft, Geschäfte und Fabriken wurden geschlossen, der Handel an der Börse ist schon länger eingestellt.

Viele arme Ägypter sagen, sie könnten sich die Unruhen nicht leisten, und sie geben den Demonstranten die Schuld daran. "Wegen dieser Leute hungern wir, ihretwegen ist unsere Arbeit eingestellt", sagt der Automechaniker Ahmed Sajed. Der 45 Jahre alte Mann in ölverschmierten Jeans trägt ein Porträt des gütig lächelnden Mubarak in Schlips und Kragen.

Im Ruf nach Demokratie sind Arm und Reich vereint; an der Spitze der Bewegung jedoch steht die bürgerliche Mittelschicht: Anwälte, Ärzte, Studenten und Ingenieure. Viele der Armen, die die Mehrheit der Bevölkerung bilden, misstrauen den Motiven der Demonstranten und befürchten, dass die Bewegung heimlich andere Ziele verfolgt. Kein anständiger Ägypter würde den Präsidenten so verunglimpfen wie die Demonstranten, sagt Sajed. "Ich selbst kann nicht lesen und schreiben, aber ich weiß, dass Mubarak zur Universität gegangen ist, und seitdem hat er nichts anderes getan, als uns zu dienen", sagt er. "Es ergibt für mich keinen Sinn, dass wir ihn nach alldem jetzt einfach rausschmeißen."

Mubarak werde nicht angemessen gewürdigt für das Gute, das er Ägypten gebracht habe, so wie größere Meinungsfreiheit als in vielen anderen Ländern der Region, sagt Taymour Hasseb von der amtlichen Zeitung "Al-Ahram". "Ägypten ist heute besser als bei seinem Amtsantritt", hebt Hasseb hervor. Abgesehen davon sei die Alternative nicht gerade schön. Hasseb - und "Al-Ahram" - zufolge würde sich die Muslimbruderschaft hier durchsetzen, falls Mubarak geht. Die Demonstranten für die Demokratie tun diese Ansicht als Ablenkungsmanöver der Regierung ab, doch so glauben viele.