Drei Tote, Hunderte Verletzte. Polizisten in Zivil sollen Gewaltausbruch provoziert haben

Kairo. Blutende Demonstranten, Steinehagel, Brandsätze, weinende Menschen: In Ägypten regiert dasChaos. Die Lage in der Hauptstadt Kairo ist außer Kontrolle geraten. Auf dem Tahrir-Platz im Zentrum der Millionenstadt prügelten Tausende Anhänger von Staatschef Husni Mubarak auf die Gegner des Präsidenten ein, es flogen Steine, Flaschen und später sogar Molotowcocktails. Drei Menschen sind nach Regierungsangaben gestern bei den Unruhen ums Leben gekommen, mehr als 600 wurden verletzt. Damit hat der seit einer Woche andauernde Aufstand in Ägypten eine neue Dimension erreicht.

US-Präsident Barack Obama forderte Mubarak zur sofortigen Übergabe der Macht auf. Obama habe in einem Telefongespräch klargemacht, "dass die Zeit für einen Übergang gekommen ist", sagte gestern Abend der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs. Es müsse "jetzt" gehandelt werden. Das Telefonat beschrieb er als "direkt und offen". Die USA verurteilten die Eskalation der Gewalt. "Die Einschüchterung des ägyptischen Volkes muss aufhören."

Die Eskalation in Kairo begann, als etwa 4000 Mubarak-Anhänger auf den Tahrir-Platz neben dem weltberühmten Ägyptischen Museum stürmten und von Dächern aus Steine und Brandsätze auf die Menschenmasse warfen. Auf den Straßen verschanzten sich die verfeindeten Gruppen hinter abgestellten Lastwagen und attackierten sich mit Betonbrocken und Flaschen. Blutverschmierte Demonstranten wurden in eilends eingerichtete Behelfskliniken eingeliefert.

Die Opposition erklärte, unter den prügelnden Anhängern Mubaraks seien viele Polizisten in ziviler Kleidung gewesen. Zuvor waren die ägyptischen Streitkräfte mit gepanzerten Fahrzeugen auf den Tahrir-Platz vorgerückt und hatten versucht, Barrikaden zwischen den Gruppen zu errichten, berichtete dapd-Fotograf Axel Schmidt. Die Anhänger Mubaraks seien in einer offenbar organisierten Aktion mit "massenweise Kleinbussen" angerückt und auf die Demonstranten losgestürmt, hieß es. Dabei setzten sie auch Pferde und Kamele ein. Die aufmarschierten Soldaten feuerten lediglich einige Warnschüsse in die Luft. Erst am Abend fuhren Wasserwerfer auf, um die Menschenmassen auseinanderzutreiben. Die Bilder von den Unruhen gingen live um die Welt. Erstmals nach sechs Tagen war auch das Internet in Ägypten wieder freigeschaltet.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) forderte Ägyptens Regime auf, keine Gewalt anzuwenden. "Jede weitere Eskalation muss unbedingt vermieden, Schlägertrupps muss unverzüglich Einhalt geboten werden", sagte er. Westerwelle telefonierte auch mit Oppositionsführer Mohammed al-Baradei, der Mubarak ultimativ zum Rücktritt bis Freitag aufgefordert hat.

Nach Angaben des Auswärtigen Amts wurden aus Kairo 1000 und aus Alexandria 100 Deutsche ausgeflogen. Angesichts der Unruhen warnt die Bundesregierung dringend vor Reisen nach Ägypten, auch in die Badeorte am Roten Meer. Die Versorgungslage könne in den kommenden Tagen schwierig werden. Die US-Regierung ruft ebenfalls die Amerikaner nach Hause zurück. Auf dem Flughafen Kairo warteten gestern zeitweise mehr als 8000 Menschen auf ihren Abflug.