Der Demokratischen Partei des Präsidenten droht heute eine schwere Wahlniederlage im US-Kongress. Obama beschwört das Volk.

Hamburg/Washington. Dieses Mal waren es nur noch 20 000 Menschen, die Barack Obama in Chicago hören wollten - ein Zehntel jener vor Begeisterung tobenden Menge, die sich vor zwei Jahren im Grant Park der Stadt versammelt hatte. Damals war Obama gerade zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Nun, einen Tag vor Beginn der Kongresswahlen 2010 , beschwor der strahlende Sieger von damals jene besondere Atmosphäre des dynamischen Aufbruchs, die ganz Amerika erfasst hatte. Der Londoner "Daily Telegraph" sprach im Zusammenhang mit Obamas Ansprache, diesmal im Midway Plaisence Park von Chicago, von einer "Verzweiflungstat". Die Demokratische Partei des Präsidenten liegt in Umfragen deutlich zurück. Bei der "Washington Post" hatten die Republikaner einen Vorsprung von 49 zu 45 Prozent; beim Sender CNN betrug diese Marge sogar zehn Prozentpunkte.

Gewählt werden heute alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses, 37 Gouverneure und 37 von 100 Senatoren. Im Haus haben die Demokraten derzeit einen Vorsprung von 39 Sitzen, im Senat von zehn Sitzen. Umfragen nach könnte die Republikanische Partei im Repräsentantenhaus um 50 Sitze zulegen und den Demokraten mindestens sechs Senatorenposten abjagen. Der Meinungsforscher Peter Hart sagte im US-Sender MSNBC voraus, die Demokraten würden einen "Hurrican" zu spüren bekommen.

Der Verlust der Mehrheit bereits in einem Haus würde es Obama erheblich erschweren, seine bei den Konservativen verhasste Reformpolitik - namentlich im Steuer- und Gesundheitswesen - fortzusetzen. Vor allem die erzkonservative "Tea-Party"-Bewegung hat noch einmal alle Kräfte gegen den Präsidenten mobilisiert. Der reaktionäre Fernsehtalkmaster Glenn Beck hatte in Washington eine Menge von 87 000 Menschen angezogen - allerdings gelang es seinen liberalen Fernsehkollegen Jon Stewart und Stephen Colbert am Wochenende, rund 215 000 Menschen in der Hauptstadt zu versammeln.

Weder die bedrückend erfolglos verlaufenden Missionen im Irak und in Afghanistan noch die jüngsten Attentatsversuche mutmaßlich islamistischer Terroristen auf den US-Luftverkehr waren in den letzten Wahlreden das beherrschende Thema - sondern die Wirtschaftslage in den USA.

In seiner 33-minütigen Ansprache in Chicago räumte Obama freimütig ein: "Ich weiß, dass heute, zwei Jahre danach, einiges von der Begeisterung, die wir im Grant Park gespürt haben, verblasst ist." Das "gute Gefühl von damals" verklinge allmählich. "Und ihr sprecht mit euren Freunden, die keine Arbeit mehr haben, ihr seht jemanden, der sein Haus verloren hat, und es entmutigt euch. Und dann seht ihr alle diese Botschaften im Fernsehen und alle diese Sprecher, und alles fühlt sich negativ an. Und einige von euch hören vielleicht auf, (an mich) zu glauben." Er beschwor die Amerikaner, "weiter zu kämpfen" und weiter zu glauben.

Obamas politische Erzfeindin Sarah Palin, Galionsfigur der "Tea-Party"- Bewegung, sagte im konservativen Sender FoxNews: "Sie haben es vermasselt, Präsident Obama. Wir haben Ihnen zwei Jahre gegeben, um die Wirtschaft auf Vordermann zu bringen. Die Botschaft an die Demokraten lautet nun, dass sie es vermasselt haben."

Bedrohlich für Obama ist aber auch eine Umfrage des Senders ABC News, nach der 47 Prozent der Demokraten meinen, der Präsident solle sich 2012 zunächst einer innerparteilichen Vorwahl stellen, anstatt automatisch als Spitzenkandidat zu gelten. 51 Prozent der Demokraten waren dagegen. Aber auch die Republikanische Partei hat offenbar ein Kandidaten-Problem. Das US-Politikmagazin "Politico" schrieb, zahlreiche Gespräche mit führenden Republikanern und Top-Beratern für die Präsidentschaftswahlen 2012 hätten ergeben, dass es sich die Grand Old Party (GOP) zur Priorität gemacht habe, die vor allem bei Gegnern des Washingtoner Politik-Establishments populäre Sarah Palin zu stoppen.

Die frühere Gouverneurin von Alaska gilt selbst Spitzenrepublikanern als völlig ungeeignet für das höchste Staatsamt. Der ehemalige Chefberater von Präsident George W. Bush, Karl Rove, hatte das vor wenigen Tagen unmissverständlich formuliert. Es gebe eine "entschlossene, wenn auch noch unkoordinierte Anstrengung" innerhalb der Partei, einen Kandidaten zu finden, der Palin schlagen könne, schrieb "Politico". "Wir glauben, dass sie die Nominierung zur Präsidentschaftskandidatin bekommen würde", sagte ein Partei-Veteran. "Aber dann würde Barack Obama sie vernichten."

Wie das Magazin berichtete, bestanden nahezu alle Interviewpartner bei den Republikanern auf strenger Vertraulichkeit - aus Angst vor dem Zorn der inzwischen sehr einflussreichen "Tea-Party"-Bewegung.