Der Staat muss sparen und tut dies vor allem beim Personal und im Sozialbereich

London. Der britische Schatzkanzler George Osborne hat gestern in einer beispiellosen Ankündigung die größten Budgetkürzungen der britischen Nachkriegsgeschichte bekannt gegeben. Das Haushaltsdefizit von umgerechnet 177 Milliarden Euro will der Minister im Laufe der jetzigen Legislaturperiode um 95 Milliarden Euro absenken sowie das strukturelle Defizit von derzeit 125 Milliarden Euro bis 2015 ganz beseitigen.

Die Cameron-Regierung hat damit die Warnungen des Internationalen Währungsfonds ernst genommen, dass London bei einer unbehandelten Verschuldung Gefahr laufe, seine Kreditwürdigkeit aufs Spiel zu setzen und mit erhöhten Zinsen für seinen Schuldendienst bestraft werden würde.

Zur großen Überraschung des Unterhauses ließ Osborne gestern gegen Ende seiner Rede eine Zahl fallen, mit der niemand gerechnet hatte. Hieß es bisher, dass die Regierung die Budgets sämtlicher Kabinettsressorts, mit Ausnahme Gesundheit und Entwicklungshilfe, um 25 Prozent über die Dauer der laufenden Legislaturperiode abspecken wolle, so gab Osborne jetzt bekannt, das Ziel der Defizitverringerung sei bereits mit durchschnittlich 19 Prozent Kürzungen erreichbar. Es war der gelungene Schachzug eines Politikers, der mit maximaler Schmerzhöhe gedroht hatte, um mit der Ankündigung verringerter Höhe so etwas wie Erleichterung verbreiten zu können.

Diese freilich hält sich in Grenzen, wenn man in die Details der Kürzungen schaut und ihre möglichen Folgen auf dem Arbeitsmarkt in Betracht zieht. Die Regierung selber geht von einer denkbaren Zahl neuer Arbeitsloser im Öffentlichen Dienst bis 2015 in Höhe von 490 000 aus. Angesichts dieser Lage und der großen Opfer, die jetzt vielen Menschen zugemutet werden, beeindruckte die im Ganzen ruhige bis geradezu entspannte Reaktion, mit der das Unterhaus gestern die Hiobsbotschaften zur Kenntnis nahm.

Sich von den tumultartigen Zuständen in Frankreich abzusetzen durch größeren Mut und größere Gefasstheit war das verbindende Band gestern zwischen Regierung und den Abgeordneten insgesamt, selbst in den Reihe der Opposition. Am deutlichsten trat dies hervor, als Osborne verkündete, die Erhöhung des Rentenalters von 65 auf 66 Jahre nicht erst ab 2026 einzuführen, sondern bereits ab 2020.

Viel zu der Gelassenheit gestern hatte auch beigetragen, dass grundlegende Fakten bereits im Voraus bekannt waren. So im Verteidigungsressort der Plan, 17 000 aktive Soldaten der drei Teilstreitkräfte einzusparen, sowie 25 000 Zivilangestellte des Verteidigungsministeriums. Auch aus Deutschland werden Truppen abgezogen. Obwohl gerade dieses Ressort noch am glimpflichsten davonkommt, mit nur acht Prozent Kürzungen über die nächsten vier Jahre, schneidet der Verzicht auf ganze Waffengattungen wie den Senkrechtstarter "Harrier" oder das Aufklärungsflugzeug der "Nimrod"-Klasse doch tief in das britische Verteidigungsverständnis.

Über 10 000 Polizisten müssen mit Anstellungsverlust rechnen, auch 14 250 Gefängnis- und Gerichtsangestellte. Mieter von Sozialwohnungen bekommen ihr Anrecht nur noch temporär, abhängig von ständig überprüften Einkommensverhältnissen. Den Banken wird eine Abgabe in noch nicht genannter Höhe abgefordert, der Königliche Haushalt muss 2012/13 mit 14 Prozent weniger Hilfe auskommen. Größte Einsparungen werden dabei im Sozialetat erzielt, wo 51 bisher einzeln geführte Posten an reklamierbaren Ansprüchen künftig wegfallen und unter einem sogenannten Universal Credit zusammengefasst werden, aus dem aber für jeden potenziell Berechtigten nicht mehr an Auszahlung herauskommen darf, als er in einer vergleichbaren Arbeit verdienen würde.

Dagegen investiert die Regierung in Forschung und Entwicklung und in Ausgaben im schulischen Sektor. Sie fühlt sich sicher in ihren Plänen, da in der Gesellschaft die Notwendigkeit der Defizitbekämpfung allgemein anerkannt wird.