Der frühere US-Präsident Carter erreichte Freiheit für US-Bürger in Nordkorea. Jetzt bekommt er als Vermittler endlich Anerkennung.

Hamburg/Washington. Im Juni 1994 saß der frühere US-Präsident Jimmy Carter im US-Außenministerium in Washington. Vor seiner Reise nach Nordkorea wollten ihn die außenpolitischen Experten von Präsident Bill Clinton gründlich auf den richtigen Umgang mit dem Regime von Diktator Kim Il-sung vorbereiten. Carter hörte sich alles mehrere Stunden lang geduldig an, dann sagte er: "Keiner von Ihnen hat mir erzählt, was ich wissen muss. Keiner von Ihnen hat mir gesagt, was Kim Il-sung will." Dann sagte Carter betont: "Was er will, ist meinen Respekt. Und genau den werde ich ihm geben."

In den Gesprächen mit dem stalinistischen Tyrannen legte Carter dann die erste Krise um Nordkoreas Atomprogramm bei. Und kehrte nach Washington mit einer Einigung zurück.

Diese erfolgreiche Taktik wählte der 85-jährige Carter jetzt auch gegenüber dem Regime von Kim Jong-il - Sohn und Nachfolger Kim Il-sungs, der damals nur einen Monat nach dem Treffen mit Carter gestorben war.

Diesmal kehrte Jimmy Carter nach Gesprächen in Pjöngjang mit dem US-Amerikaner Aijalong Mahli Gomes zurück. Der 30-jährige gläubige Christ und Englischlehrer in Südkorea hatte im Januar von China aus illegal die Grenze nach Nordkorea überschritten und war für diesen "feindseligen Akt" zu acht Jahren Zwangsarbeitslager und einer Geldstrafe von umgerechnet 600 000 Dollar verurteilt worden.

Berichte über die sich rapide verschlechternde Gesundheit des Bostoners Gomes hatten Washington alarmiert. Im Juli hatten nordkoreanische Medien berichtet, der Amerikaner habe einen Selbstmordversuch unternommen - "getrieben von seinem schlechten Gewissen und Verzweiflung darüber, dass die amerikanische Regierung nichts unternommen hat, um ihn freizubekommen". Die darin verborgene Botschaft der staatlich gelenkten Presse war eine doppelte: zunächst die wohl beabsichtigte, dass man nämlich auf eine amerikanische Reaktion hoffe. Und dann das unfreiwillige Eingeständnis, dass Pjöngjang das Schicksal von Gomes politisch instrumentalisierte.

Offenbar gab Carter auch Kim Jong-il, was dieser begehrte: Respekt und Anerkennung. Wie Nordkoreas Nachrichtenagentur KCNA meldete, habe sich Carter beim protokollarischen Staatsoberhaupt Kim Yong-nam "im Namen der US-Regierung" für das Fehlverhalten des Amerikaners entschuldigt. KCNA würdigte Nordkoreas Geste als "Manifestation der Menschlichkeit und der friedliebenden Politik". Carter habe "höflich um eine Begnadigung von Gomes gebeten". Das US-Außenministerium beeilte sich derweil zu erklären, Carters Reise sei "eine private, humanitäre und inoffizielle Mission" gewesen.

Zweifel an dieser Darstellung sind angebracht. Han Park, Universitätsprofessor in Carters Heimatstaat Georgia, der Carters Reise 1994 organisierte und auch diesmal seine Hände im Spiel hatte, sagte gegenüber dem US-Sender CNN, die Freilassung von Gomes sei nur zweitrangiges Ziel der Reise gewesen. Vor allem sei es darum gegangen, den Dialog zwischen Washington und Pjöngjang wieder in Gang zu bringen.

Die Sechs-Staaten-Atomgespräche, an denen auch die USA, China, Japan, Russland und Südkorea teilnehmen, hatte Nordkorea im April 2009 abgebrochen. Seit der Versenkung der südkoreanischen Korvette "Cheonan" durch ein nordkoreanisches Torpedo im Südchinesischen Meer hat Washington härtere Sanktionen gegen Pjöngjang verhängt und veranstaltet gemeinsame Seemanöver mit Südkorea. Park, der bereits 52-mal in Nordkorea war, sagte: "Da die offiziellen Verbindungen wohl blockiert sind, strebte man eine sehr viel substanziellere Diskussion an." Aus Pjöngjang verlautete, Carters Delegation habe eine "offenherzige Diskussion" mit Nordkoreas Außenminister und dessen Stellvertreter geführt. Im vergangenen Jahr hatte der frühere US-Präsident Bill Clinton die wegen angeblichen illegalen Grenzübertritts zu zwölf Jahren Arbeitslager verurteilten US-Journalistinnen Laura Ling und Euna Less freibekommen. Clinton hatte drei Stunden lang für Fototermine und ein Essen mit Kim Jong-il zur Verfügung gestanden. Die diplomatische Aufwertung für das international fast völlig isolierte Regime war enorm. Wie CNN schrieb, waren die Nordkoreaner seit Längerem auf einen Besuch auch von Jimmy Carter scharf.

Der Friedensnobelpreisträger und 39. Präsident der USA von 1977-81 gilt weltweit als moralische Autorität und engagierter Menschenrechtler. Der Politiker, Geistliche und Erdnussfarmer war maßgeblich an den Verhandlungen zum Nahost-Abkommen von Camp David 1978 und zum israelisch-ägyptischen Friedensvertrag 1979 beteiligt, handelte den SALT-II-Abrüstungsvertrag mit der Sowjetunion aus und hatte als Gouverneur von Georgia die Zeit der Rassendiskriminierung kategorisch für beendet erklärt.

Unter anderem die kläglich gescheiterte "Operation Eagle Claw" zur Befreiung von mehr als 50 Amerikanern im revolutionären Teheran 1979 führte zu Carters Popularitätsverlust und der Wahlniederlage gegen den Republikaner Ronald Reagan 1981.

Nach seiner Amtszeit als Präsident vermittelte Carter in Bosnien und Haiti, besuchte Kuba und sprach mit dessen Machthaber Fidel Castro. Die US-Marine benannte das Atom-U-Boot "USS Jimmy Carter" nach dem ehemaligen U-Boot-Offizier. Carter und die US-Sängerlegende Elvis Presley haben denselben deutschen Vorfahren: den südpfälzischen Winzer Valentin Pressler.