Ihre Reise zu afghanischen Dorfbewohnern bezahlten zehn Helfer mit dem Leben, auch eine Deutsche

Kabul/Neu-Delhi. Auf der Liste der Grundwerte der christlichen Hilfsorganisation International Assistance Mission (IAM) steht "Abhängigkeit von Gott" ganz oben. Doch alles Gottvertrauen rettete die Helfer nicht, die im Nordosten Afghanistans erschossen wurden. Für die Taliban waren sie "christliche Missionare": eine Deutsche, fünf Amerikaner, eine Amerikanerin, eine Britin und zwei Afghanen bezahlten ihr humanitäres Engagement mit dem Leben. Bei der deutschen Helferin handelt es sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes um eine 35-Jährige aus Sachsen.

IAM-Direktor Dirk Frans sagte, die auf die Behandlung von Augenkrankheiten spezialisierte Gruppe sei auf dem Rückweg aus Nuristan gewesen. Zwei Wochen war das Team zu Fuß und mit Packpferden unterwegs gewesen, um Bewohnern im abgelegenen Parun-Tal im Nordosten Afghanistans zu helfen. Mitte der Woche seien sie zu ihren allradbetriebenen Fahrzeugen zurückgekehrt, um die Heimfahrt nach Kabul anzutreten. Das Ärzteteam habe den Umweg über Badachschan gewählt, weil diese Route sicherer erschienen sei. Nach Angaben des Polizeichefs von Badachschan, General Agha Nur Kemtus, wurden die Helfer am Donnerstag im abgelegenen Grenzgebiet zwischen den Provinzen Badachschan und Nuristan getötet. Sie hätten am Nachmittag eine Rast gemacht und wurden bei der Rückkehr zu ihren Autos von Bewaffneten angehalten. Dies habe der Überlebende des Überfalls, ein afghanischer Fahrer, berichtet. Die Bewaffneten hätten die Autos geplündert und dann alle Mitglieder der Gruppe bis auf diesen Fahrer erschossen. "Er sagte mir, er habe geschrien und den heiligen Koran rezitiert und gesagt: 'Ich bin Muslim. Tötet mich nicht'", so Kemtus.

Die Gruppe wurde von dem amerikanischen Optiker Tom Little geleitet, der seit mehr als 30 Jahren in Afghanistan arbeitete. Im August 2001 war Little mit anderen Helfern von der damaligen Taliban-Regierung verhaftet und ausgewiesen worden. Nach der US-Invasion kehrte er zurück. Er sprach fließend die Landessprache Dari und hatte mit seiner Frau Libby auch drei Töchter am Hindukusch großgezogen. "Er starb, wo er gern war", sagte seine Witwe gestern dem US-Fernsehsender CNN.

Bei der britischen Ärztin handelt es sich nach Berichten der BBC um die 36-jährige Karen Woo. Ende des Monats wollte sie ihren Verlobten heiraten, einen britischen Soldaten, den sie in Afghanistan kennengelernt hatte. Karen Woo war von Tom Little persönlich angeworben worden und hatte für ihre Tätigkeit in Afghanistan eine sichere Stelle in London aufgegeben.

Unklar ist, ob wirklich die Taliban, die sich zu der Tat bekannten, die Helfer töteten oder ob es sich um einen Straßenraub handelte, den die Aufständischen für ihre Propaganda ausschlachten. Taliban-Sprecher Sabjullah Mudschahid erklärte, die Ausländer hätten für die USA spioniert und "für das Christentum missioniert". Die Gruppe habe Bibeln in der afghanischen Sprache Dari im Gepäck gehabt.

IAM-Direktor Frans wies das als "Lüge" zurück. IAM sei eine christliche Organisation. "Aber wir predigen nicht das Christentum, wir verteilen keine Bibeln. Das ist nicht unsere Arbeit", sagte Frans. Während andere Helfer nur noch in gepanzerten Fahrzeugen unterwegs seien, verzichte die IAM auf bewaffneten Schutz. "Wir sind eine humanitäre Organisation, die sich im Grunde darauf verlässt, von der örtlichen Gemeinschaft willkommen geheißen zu werden."

Politiker aller Parteien und aus dem Ausland äußerten sich am Wochenende empört und erschüttert. Eine Sprecherin der Bundesregierung sprach von einem feigen Mord, der sofort aufgeklärt werden müsse. (HA)