Laut OECD-Studie bleibt Europa aber auf den Zuzug von Arbeitskräften angewiesen

Brüssel. Sein Leben in London hatte sich Roman Maciejewski wohl anders vorgestellt. Er schläft seit Wochen unter einer Zeltplane an der Themse. "Aber nach ein paar Stunden Betteln kann ich mir wenigstens ein Baguette kaufen", erzählt der 39-Jährige aus dem polnischen Posen einem Reporter des "Guardian". Maciejewski gehört zu der Generation Mittel- und Osteuropäer, die nach dem EU-Beitritt ihrer Länder 2004 in jene Länder strömten, die ihren Arbeitsmarkt sofort öffneten: Großbritannien, Irland und Schweden.

Doch mit der Krise geht der Sog wieder in die andere Richtung, viele kehrten nach Hause zurück. Einige aber, so wie der Pole, stehen in der neuen Heimat vor dem Nichts. Jüngsten Statistiken zufolge kommen ein Viertel aller Obdachlosen in London aus Osteuropa. In Madrid, das ebenfalls einen jahrelangen starken Anstieg von Zuwanderern gesehen hat, ist sogar jeder zweite Obdachlose ein Migrant.

Die Krise trifft Zuwanderer härter als die einheimische Bevölkerung. Das belegen die Ergebnisse der Internationalen Migrationsstudie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). In Spanien etwa stieg die Arbeitslosenrate unter Migranten 2009 auf 27 Prozent, 2008 waren es 16 Prozent.

Gleichzeitig liegt die Arbeitslosigkeit unter Zuwanderern in vielen OECD-Ländern höher als unter den Einheimischen. Insbesondere in Europa sind die jungen, männlichen Migranten betroffen, von denen viele im Baugewerbe oder der Gastronomie ihr Geld verdienen: Bis zu 24 Prozent der Zugewanderten zwischen 15 und 24 Jahren sind arbeitslos; die Quote ist damit deutlich höher, teilweise sogar doppelt so hoch wie bei den Einheimischen. Weniger betroffen von diesem Phänomen sind die klassischen Einwanderungsländer Kanada, USA und auch Großbritannien.

Deutschland bildet hier allerdings eine interessante Ausnahme: Dort ging die Zahl der arbeitslosen zugewanderten Frauen zurück. Die OECD erklärt dies durch den Bedarf an Pflegepersonal und Haushaltshilfen. Mit Blick auf die schrumpfende Bevölkerungszahl in der Europäischen Union wies auch EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström darauf hin, dass im Pflegebereich und im Dienstleistungssektor Arbeitskräfte gebraucht werden. "Der Bedarf an Arbeitskräften bleibt, und er kann nicht nur durch EU-Bürger gedeckt werden", sagte Malmström.

Nach Informationen der "Welt" will sie deshalb heute einen Vorschlag vorstellen, der die Beschäftigung von Saisonarbeitern aus Drittstaaten regelt. So soll der Zugang auf den europäischen Arbeitsmarkt erleichtert und Voraussetzungen wie ein schriftlicher Arbeitsvertrag samt ausgewiesenem Lohn EU-weit gültig werden. Generell soll für Saisonarbeiter eine Höchstbeschäftigungsdauer von sechs Monaten gelten. In bestimmten Bereichen, etwa bei der Sozialversicherung, sollen sie mit Einheimischen gleichgestellt werden. In einer begrenzten Zeitspanne würde es ihnen zudem erleichtert, mehrfach Saison-Jobs in der EU anzunehmen. "Eine langfristige Politik für die legale Zuwanderung in die EU wird weiter eine wichtige Rolle spielen, um die Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu füllen", so die Kommissarin.

Derzeit aber wirkt sich die Krise spürbar negativ auf die Migrationsflüsse aus. So ging die Zahl der Menschen, die legal ihre Heimat für ein anderes Land verließen, zwischen 2008 und 2009 um vier Millionen oder sechs Prozent zurück. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Zuzug von Arbeitskräften dieses Jahr noch weiter zurückgeht", sagte der OECD-Experte John Martin. "Für Ende 2011 erwarten wir dann wieder einen Anstieg."

Ein Grund dafür, dass Menschen so flexibel auf die Wirtschaftskrise reagieren, liegt in der oft nur zeitweisen Migration. Die Zahl der Arbeitssuchenden, die nur vorübergehend auswandern, liegt in den OECD-Ländern bei rund 2,3 Millionen. Demgegenüber wird die geringere Zahl von schätzungsweise 1,5 Millionen Arbeitsmigranten dauerhaft sesshaft. Ein anderer Grund für den globalen Rückgang sind die in der Krise vielerorts verschärften Zuwanderungsgesetze. Die OECD-Experten warnen daher: Verstetigt sich der Rückgang, würde die erwerbstätige Bevölkerung bei gleichzeitig wachsender Zahl von Rentnern in der kommenden Dekade nur um 1,9 Prozent zunehmen. Hingegen sorgte die starke Zuwanderung der letzten zehn Jahre für ein Wachstum der Arbeitsbevölkerung um 8,6 Prozent. In Ländern Südeuropas, in Österreich und Tschechien basierten sogar 90 Prozent des generellen Bevölkerungswachstums auf Zuwanderung.

Trotz des global rückläufigen Trends bleibt Europa ein Hauptanziehungspunkt für Migranten: 40 Prozent steuern die EU sowie die Schweiz und Norwegen an. Die höchsten Auswanderungsquoten haben die Länder China, Indien, Polen und Marokko.