Neuer Kommandeur Petraeus erwartet Intensivierung der Kämpfe in Afghanistan. Verluste werden immer höher

Hamburg/Kabul. Noch hat der designierte neue amerikanische Kommandeur für Afghanistan, General David Petraeus, sein schwieriges Amt gar nicht angetreten, da warnte er bereits vor einer blutigen Zukunft am Hindukusch. Die verlustreichen Gefechte würden sich in den kommenden Monaten noch intensivieren, sagte Petraeus vor dem Verteidigungsausschuss des US-Senats in Washington.

Der Vier-Sterne-General soll den bisherigen Kommandeur Stanley McChrystal ablösen, der wegen seiner despektierlichen Kritik an der Regierung von Präsident Barack Obama fristlos entlassen worden war. Petraeus wurde von dem Ausschuss bestätigt, benötigt aber noch die Billigung des gesamten US-Senats. Er ließ die Frage offen, ob es - wie von Obama angekündigt - schon im Juli 2011 zu einem ersten US-Truppenabzug kommen könne. Petraeus deutete an, es könne zu "Veränderungen" kommen, wenn die Lage Ende des Jahres neu eingeschätzt werde.

Wie zur Bestätigung seiner warnenden Worte griff gestern ein Selbstmordkommando der Taliban den Nato-Flughafen bei Dschalalabad in der ostafghanischen Provinz Nangahar an. Zwar konnten die afghanische Armee und die Internationale Schutztruppe Isaf den Angriff zurückschlagen. Doch die Attacke, bei der acht Taliban starben und auch eine Autobombe gezündet wurde, ist ein weiterer Hinweis auf das gewachsene Selbstbewusstsein der radikalislamischen Aufständischen.

Der Monat Juni war der verlustreichste für die Koalitionstruppen in der fast neunjährigen Geschichte dieses Krieges, der mit der Invasion der US-Truppen Ende 2001 begann. Mindestens 100 Soldaten starben. Unter ihnen waren 54 US-Soldaten, fast 400 Amerikaner wurden verwundet.

Der bis dahin tödlichste Monat für die Nato war der August 2009 mit 77 Todesopfern gewesen. Im ersten Halbjahr 2010 sind damit bereits rund 320 ausländische Soldaten am Hindukusch gefallen - im gesamten vergangenen Jahr waren es 520. Für mehr als zwei Drittel aller Todesfälle sind die sogenannten IEDs (improvised explosive devices) verantwortlich, Sprengfallen, die zumeist an Straßenrändern positioniert und ferngezündet werden. Nach Angaben des US-Senders CDS News gab es im vergangenen Jahr 8159 Angriffe mit IEDs - doppelt so viel wie im Vorjahr.

Nach Angaben der "Washington Post" sind derzeit rund 700 amerikanische und afghanische Soldaten in der Grenzprovinz Kunar in einer Offensive. Damit soll der weitere Zustrom von Taliban-Kriegern aus Pakistan gestoppt werden. Sie versuchen angesichts der alliierten Offensive im Süden eine zweite Front in Kunar zu errichten. Der Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, Leon Panetta, sprach von "ernsten Problemen" der amerikanischen Mission am Hindukusch. "Wir haben es mit einem Land zu tun, das Probleme mit der Regierungsführung, Probleme mit Korruption, Probleme mit Drogenhandel und Probleme mit einem Taliban-Aufstand hat." Es sei mühsamer und gehe langsamer voran, als alle erwartet hätten, sagte Panetta.

Der zuständige amerikanische Generalinspektor für den Aufbau in Afghanistan, Arnold Fields, räumte in Washington ein, man wisse überhaupt nicht, was die neue afghanische Armee eigentlich wirklich zu leisten imstande sei. So werde die Truppenstärke übertrieben dargestellt - bis Oktober dieses Jahres soll die afghanische Armee bereits 134 000 Mann zählen - und Desertionen einfach ignoriert. Die Bemühungen um einen Aufbau schlagkräftiger afghanischer Sicherheitskräfte würden durch weit verbreiteten Drogenmissbrauch und durch Korruption hintertrieben, sagte Fields.

Insgesamt wurden bislang rund 27 Milliarden Dollar für den Aufbau von Armee und Polizei ausgegeben. Arnold Fields ist ein ehemaliger Generalmajor des US Marine Korps und hat im Golfkrieg gekämpft; zuletzt war er in Stuttgart stationiert. Im Juni 2008 war er vom US-Präsidenten zum Generalinspekteur der Aufbaubehörde Sigar ernannt worden.