Auch Guido Westerwelle soll sich vor Ort ein Bild machen können

Hamburg/Jerusalem. Der 23-jährige Gilat Shalit hat keine großen Schlachten für sein Land gewonnen - dennoch ist er derzeit wohl der bekannteste Soldat Israels. Shalit wurde am 25. Juni 2006 - vor vier Jahren also - von einem Kommandotrupp der radikalislamischen Hamas von israelischem Gebiet in den Gazastreifen verschleppt; zwei weitere Soldaten wurden dabei getötet. Seitdem wird Shalit irgendwo in Gaza gefangen gehalten. Am Freitag gedachte ganz Israel seines Schicksals. Shalits Verschleppung war neben den andauernden Raketenüberfällen der Hamas der Grund, warum Israel eine Blockade über den Gazastreifen verhängte, der auf der anderen Grenzseite auch von Ägypten mitgetragen wurde.

Die trübe humanitäre Lage der 1,5 Millionen Palästinenser in dem überfüllten Gebiet veranlasst die Staatengemeinschaft seit mehr als drei Jahren zu eindringlichen Appellen an Israel, ungehinderte Lieferungen für die Not leidenden Menschen zu ermöglichen. Bislang prallten alle Aufrufe an Israel ab - nicht einmal der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel durfte in das Küstengebiet einreisen.

Eine Woche nach diesem politischen Eklat hat die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Freitag völlig überraschend eine radikale Kehrtwende vollzogen. Außenminister Avigdor Lieberman lud seinen italienischen Amtskollegen Franco Frattini sowie sechs weitere Spitzenpolitiker der EU zu einem Besuch des Gazastreifens ein, damit sie sich persönlich ein Bild von der Situation vor Ort machen können. Dem Vernehmen nach sollen zu der kleinen Delegation auch die Außenminister aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien gehören. Der deutsche Ressortchef Guido Westerwelle erklärte bereits, er werde diese Einladung annehmen. Der FDP-Chef sagte auf einer Visite in Rumänien, Israel habe mit der Lockerung der diplomatischen Blockade "einen Politikwechsel in Sachen Gaza" eingeleitet. Am vergangenen Wochenende hatte Israel Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) noch die Einreise nach Gaza verweigert. Israel hat bereits die Liste von Gütern erweitert, die über israelische Grenzposten nach Gaza geliefert werden dürfen. Allerdings flog Israels Luftwaffe am Freitag wieder Angriffe auf Schmuggeltunnel im Gazastreifen; es gab dabei mindestens zwei Tote.

Aus Israel verlautete weiter, die EU-Politiker sollten während ihres Besuches im Gazastreifen keine Gespräche mit der Hamas führen, die dort seit 2007 herrscht. Ferner sei zum Ausgleich ein Besuch der israelischen Grenzstadt Sderot vorgesehen, die seit Jahren besonders unter den Raketenangriffen der Hamas leidet. In Sderot gibt es überall gehärtete Unterstände und Bunker, die die Menschen aufsuchen können, wenn eine Sirene anfliegende Raketen meldet.

Die Europäische Union hatte immer wieder Zugang zum Gazastreifen gefordert. Doch nur sehr wenigen Personen - wie Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon oder der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton - war dies gestattet worden. Israel befürchtet eine diplomatische und politische Aufwertung der Hamas durch solche Besuche.

Die Kehrwende ist offenbar eine Konsequenz des enormen internationalen Drucks, dem Israel seit der blutigen Erstürmung des türkischen Schiffes "Mavi Marmara" vor der Küste von Gaza ausgesetzt ist. Mit der Aktion, bei der neun Türken durch Kopfschüsse von der Eliteeinheit "Shayetet 13" getötet worden waren, hatte Israel verhindern wollen, dass eine Hilfsflottille Güter für den Gazastreifen liefert. Ägypten war am 1. Juni aus der Embargo-Front ausgeschert und hatte den Übergang zum Gazastreifen geöffnet. Mehr als 16 500 Palästinenser sind seitdem nach Ägypten eingereist.