Auf dem G20-Gipfel im kanadischen Toronto soll der Finanzsektor gezähmt werden. Doch die Teilnehmer streiten über den Weg.

Hamburg/Toronto. Der Höhepunkt der globalen Finanzkrise ist vorbei, und dennoch stehen den Regierungschefs der Welt die schwierigsten Auseinandersetzungen erst noch bevor. Am Wochenende müssen sie nun beweisen, dass sie auch ohne den Druck eines drohenden Finanzkollapses in der Lage sind, Schulden abzubauen und den Finanzsektor zu regulieren, ohne dabei das langsam wieder anziehende Wirtschaftswachstum abzuwürgen.

"Recovery and New Beginnings" - Aufschwung und Neuanfang - heißt das optimistische Motto des mittlerweile vierten Treffens, zu dem die politischen Führer der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer seit Ausbruch der Weltfinanzkrise zusammenkommen. Kurz vor der Konferenz in Toronto treffen sich die acht führenden Industrienationen, die sogenannte G8, separat in einem Luxus-Ressort in Huntsville in der Provinz Ontario. Dass dabei eine harmonische Stimmung herrschen wird, ist wenig wahrscheinlich: Die Teilnehmer streiten schon jetzt darüber, wie sich die Vision von Aufschwung und Neuanfang verwirklichen lässt.

So erwartet Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) harte Auseinandersetzungen über die weltweite Krisen- und Konjunkturpolitik. Vor ihrem Abflug nach Kanada sagte sie, sie sehe keine Chance für eine wichtige deutsche Forderung, die Einführung einer weltweiten Steuer auf alle Finanzgeschäfte. Die Zeit sei aber reif für eindeutige Ansagen. "Nachgedacht haben wir genug."

Unterstützung erhält Merkel auch von Thomas Mirow. Der frühere Hamburger Senator und SPD-Politiker ist heute Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Dem Hamburger Abendblatt sagte Mirow, die Staatengemeinschaft stehe in Toronto vor einem schwierigen Balanceakt zwischen Wachstum und Sparen. Der Abbau von hohen Staatsdefiziten muss nach Ansicht Mirows Vorrang haben: "Das wird kurzfristig Wachstum kosten, aber das ist besser, als das akute Risiko einer neuerlichen weltweiten Finanzkrise einzugehen." Der Bankenchef plädiert für eine Bankenabgabe: Angesichts der Belastungen, die man den Bürgern abverlange, "ist es unvorstellbar, dass der Bankensektor nicht ebenfalls einen Beitrag zum Abbau der Budgetdefizite leistet".

Für Kanzlerin Merkel steht der Weg aus der Wirtschaftskrise fest: "Wir, die Europäer und ganz besonders Deutschland sind der Meinung, dass die Reduktion von Defizit für ein nachhaltiges Wachstum unabdingbar ist", erklärte die Regierungschefin. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertengruppe fordert, Finanzakteure über ein neues Bankeninsolvenzrecht und eine Bankenabgabe für riskante Geschäfte mehr in Haftung zu nehmen. Weitere Konjunkturpakete, wie von den USA gefordert, plant die Bundesregierung bis auf Weiteres nicht.

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Auch die EU pocht nach der Griechenland-Krise und angesichts der hohen Verschuldung vieler ihrer Mitglieder auf ein Herunterfahren der Konjunkturmaßnahmen. Ein verzögerter Ausstieg aus den Programmen gegen die Wirtschaftskrise sei ein "großes Risiko" für die öffentlichen Haushalte, warnten EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy die G20-Staaten. "Spätestens 2011 muss mit einer substanziellen Haushaltskonsolidierung begonnen werden, begleitet von Strukturreformen zur Wachstumsförderung." Obwohl die EU international lautstark schärfere Regeln für Hedgefonds und private Beteiligungsgesellschaften fordert, konnte sie sich intern noch auf keine Vorschrift einigen.

US-Präsident Barack Obama bevorzugt eine andere Strategie. Er wird den Gipfel voraussichtlich dazu nutzen, für weitere staatliche Konjunkturprogramme zu werben. Der Abbau der gewaltigen Staatsschulden hat für die Amerikaner keine hohe Priorität. Finanzminister Timothy Geithner und der Chef des Nationalen Wirtschaftsrats, Lawrence Summers, sprachen sich bereits dafür aus, wirtschaftliche Anreize nicht zu früh zu beenden. "Wir müssen eine Verpflichtung zum Abbau langfristiger Verbindlichkeiten demonstrieren, aber nicht um den Preis kurzfristigen Wachstums. Wenn wir jetzt kein Wachstum haben, werden die Defizite weiter zunehmen und zukünftiges Wachstum untergraben."

G20-Gastgeber Kanada vertritt eine Position, die zwischen der der USA und der EU liegt. So lehnt der kanadische Chefunterhändler Glen Edwards eine Bankenabgabe kategorisch ab und betont: "In Kanada sind keine Banken pleitegegangen." Stattdessen müsse sich die Gipfelrunde auf Regeln des Bankwesens konzentrieren, die wirklich mehr Schutz vor neuen Finanzkrisen bedeuteten. Dazu gehörten mehr Eigenkapital, begrenzte Verbindlichkeiten und mehr Kontrolle. Im Punkt des Schuldenabbaus stimmt dagegen Kanadas Ministerpräsident Stephen Harper mit den Europäern wiederum überein. Nach Vorstellung Harpers sollten die G20-Partner ihre Staatsdefizite bis 2013 halbieren.