Früher respektierte oder belächelte man ihn als den „Pharao“. Nun ist Mubarak kein politischer Faktor mehr. Sein Fall ins Koma erregt wenig Mitleid.

Kairo. Als in der Nacht zum Mittwoch die Nachricht vom angeblichen klinischen Tod des ehemaligen Langzeit-Präsidenten Husni Mubarak auf dem Tahrir-Platz verkündet wurde, brandete Jubel auf. Sogar ein paar Feuerwerksraketen stiegen hoch. Seit Stunden demonstrierten dort Muslimbrüder und Anhänger der Anti-Mubarak- Bewegung gegen den Obersten Militärrat und die zunehmende Machtkonzentration in dessen Händen. Der Tahrir-Platz war einst das Epizentrum der Proteste gewesen, die im Februar 2011 den Rücktritt Mubaraks erzwungen hatten.

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Der Jubel war noch nicht abgeebbt, da erklomm der radikale Salafistenprediger Hasim Abu Ismail das Podium. Die Brüder und Schwestern mögen sich beruhigen, die Nachricht sei eine „Lüge“. Der Oberste Militärrat wolle damit vom eigenen „Putsch“ ablenken, nachdem er die meisten Vollmachten des aufgelösten Parlaments und des künftigen Präsidenten an sich gerissen hatte. „Wir werden uns die Macht nehmen, die sich der Militärrat selbst gegeben hat, selbst wenn wir dabei sterben müssen“, donnerte er ins Mikrofon.

Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Kairo lässt der nahende Tod des Mannes, der fast 30 Jahre über sie regiert hatte, eher ungerührt. Mehr als ein von der Pietät diktiertes Mitgefühl erübrigen die meisten nicht. „Er verdient Gottes Gnade“, meint der Student Islam al-Raschidi. „Er hat gute Seiten und schlechte Seiten, und leider werden heute allein die schlechten Seiten hervorgehoben“, fügt er hinzu. Mit seinen 21 Jahren hatte Al-Raschidi sein ganzes Leben keinen anderen Präsidenten gehabt als Mubarak.

„Es macht keinen Unterschied mehr“, sagt der Getränkehändler Atif Abbas aus der Kasr-al-Aini-Straße. „Er war ohnehin schon weg vom Fenster.“ Bei der Stichwahl um die Neubesetzung des Präsidentenamts nach Mubaraks Abgang hat er, wie er es offen ausspricht, für Ahmed Schafik, den Vertreter des alten Establishments der Mubarak-Zeit, gestimmt. Sollten die konservativ-religiöse Muslimbruderschaft und ihr Präsidentschaftskandidat Mohammed Mursi die Macht übernehmen, befürchtet er eine gewaltsame Islamisierung des Landes.

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Das Bier, das man bei ihm kaufen kann, hat er in seinen Kühlschränken schon mal sicherheitshalber weit hinter die alkoholfreien Sprudelgetränke gestellt, so dass es kaum sichtbar ist. Für Mubaraks Los kann Abbas dennoch keine Empfindungen aufbringen. „Im Business-Leben haben Gefühle dieser Art keinen Platz, und in der Politik ist es auch nicht anders“, stellt der 60-jährige Geschäftsmann trocken fest.

Doch schon während seiner Amtszeit war Mubarak ein Herrscher, der wenig Emotionen weckte. Seine Anhänger respektierten ihn für seine Fähigkeit, die Fäden und Strippen so zu ziehen, dass er und sein Clan stets obenauf blieben. Geliebt und vergöttert wurde er nicht. Gegner und Kritiker mokierten sich über seine intellektuelle Mittelmäßigkeit und die materielle Gier seiner Günstlinge.

Erst in den letzten Jahren vor seinem Sturz wurde er für die immer wachsende Schar seiner Gegner zur Hassfigur. Die Krankheiten des Landes, die soziale Misere, der unwürdige Umgang der Polizei und anderer Behörden mit den Bürgern, die allgegenwärtige Misswirtschaft und Korruption – all dies wurde nun dem „Pharao“ zugeschrieben, bei dem ja tatsächlich alle Macht zusammenlief. Der begründete Verdacht, dass er seinen korrupten Sohn Gamal für eine dynastische Nachfolge vorbereitete, goss noch zusätzlich Öl ins Feuer.

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Der 82-jährige Herr Anwar, ein ehemaliger Uno-Beamter, der sich mit Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen die Rente aufbessert, behauptet, mit Mubarak in die selbe Mittelschule in der Nildelta-Provinz Menufija gegangen zu sein, was natürlich niemand überprüfen kann. „Sein Onkel war ein großer Arzt und Muslimbruder in Menufija, er aber wurde als Jugendlicher von der Familie kurz gehalten“, will er sich erinnern. „Als er der mächtigste Mann des Landes wurde, wollte er das kompensieren“, erklärt sich Herr Anwar, der seinen Nachnamen nicht nennen will, den Hang der Mubaraks zu Luxus und teurer Lebensführung.

Ob er denn Mitleid für seinen ehemaligen Schulkameraden empfinde? Nur kurz stützt sich der rüstige Alte beim Spaziergang auf der Kasr-al-Aini-Straße auf seinen Stock: „Mir tut eher leid, dass er nichts Besseres aus seinem Leben gemacht hat.“