Amerikaner fürchten, dass die Weltwirtschaft in den Abgrund gezogen wird. Merkel verteidigt Rettungsschirme. Barroso empört über Obama.

Los Cabos. Barack Obama denkt und handelt gern pragmatisch. Deshalb ruft der Präsident der USA auf internationalen Gipfeln die wichtigsten Leute gerne noch abseits des Protokolls zusammen. Vor gut einem Jahr, mitten im Libyen-Krieg, scharte der Präsident so beim G8-Gipfel im nordfranzösischen Badeort Deauville seine Waffenbrüder David Cameron und Nicolas Sarkozy um sich, um bei Bier und Wein, aber ohne Protokoll den Plan auszuhecken, wie man Muammar al-Gaddafi loswerden könne. Und ein gutes Jahr später wollte Obama die nächste entscheidende Schlacht in Angriff nehmen. Die wird freilich nicht mit Bomben entschieden, sondern mit Geld und Vertrauen.

Geld ist in der Euro-Krise schon reichlich geflossen, Vertrauen ist immer noch nicht an die Märkte zurückgekehrt. Es schwindet eher: Griechenland hat seine Wahlen, nicht aber seine Probleme hinter sich. Die Risikoaufschläge für spanische Staatsanleihen steigen weiter. Und die Weltwirtschaft taumelt einer Rezession entgegen, für die viele in Übersee Europa verantwortlich machen.

+++ G20 bringt kaum konkrete Pläne aber Schelte aus den USA +++

Obama glaubt jedenfalls, dass es Zeit sei für den entscheidenden Schlag gegen die Euro-Krise. Und wieder wollte er dafür - diesmal am Rande des G20-Gipfels - einen Kriegsrat zusammentrommeln. Dazu lud er die europäischen Staats- und Regierungschefs zum Nachsitzen im Konferenzzentrum.

Angela Merkels Idee war das nicht. Sie glaubt nicht, dass die Euro-Krise mit einem entschlossen geführten Schlag gelöst werden kann, sondern sieht sie eher als einen Problemberg, den sie Stück für Stück abtragen muss. Immerhin war sie diesmal anders als bei Libyen wenigstens eingeladen. Doch Obamas Kriegsrat wurde kurzfristig abgesagt! Die Kanzlerin begründete dies damit, dass ja schon alles gesagt gewesen sei: "Wir hatten schon beim Abendessen eine ganz ehrliche Aussprache über die Probleme aller Länder, nicht nur Europas. Da ist alles besprochen worden, was wir anschließend in kleinerer Runde hätten besprechen können."

Als Obama den Ablauf der Rettung der spanischen Banken ansprach, habe ihm ein Europäer geantwortet: "Stell dir vor, Barack, du müsstest in Mexiko jetzt Banken erwerben, um sie zu rekapitalisieren - und müsstest das deinem Kongress und deiner Öffentlichkeit erklären."

Merkel wies die Vermutung zurück, Obama habe auf den Kriegsrat mit den Europäern verzichtet, weil er nach der Aussprache beim Abendessen die Hoffnung aufgegeben hatte, sie doch noch von neuen Wegen bei der Krisenbekämpfung zu überzeugen. "Nein", sagte die Kanzlerin. "Wir sind einfach fertig gewesen - in einem guten Sinne fertig gewesen."

+++ G20 stärkt IWF-Finanzkraft - Kein Treffen mit Obama +++

Immer wieder erklärte sie ihren Gesprächspartnern, wie dem mexikanischen Gastgeber Felipe Calderon oder dem indischen Regierungschef Manmohan Singh, was die Europäer seit dem letzten G20-Treffen in Cannes alles geleistet hätten: den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gebaut, den Fiskalpakt beschlossen und das sogenannte Sixpack, also Maßnahmen zur Haushaltsdisziplin, erhärtet. Merkels Problem: Die deutsche Leistung wurde durchaus anerkannt, aber die anderen Staats- und Regierungschefs wollen, dass noch viel mehr getan wird.

Getreue hatte Merkel so wenige, dass sie schon Neutralität lobte: So dankte sie Chinas Präsidenten Hu Jintao, dass er nie ein schlechtes Wort über den Euro verloren habe. Mit ihrer starren Haltung ist Merkel auch in Europa weitgehend isoliert. Doch einen Verbündeten hatte sie in Mexiko: die Abneigung von Regierungschefs, sich in ihre Angelegenheiten reinreden zu lassen. Zwar sprach Merkel von einer "Diskussion im Geiste der Kameradschaft und der gegenseitigen Abhängigkeit". Dennoch: Die Europäer sind schwer genervt, dass ihnen seit zwei Jahren vorgeworfen wird, mit der Euro-Krise die Weltwirtschaft in den Abgrund zu ziehen. Auch wenn sich das EU-Spitzenpersonal - allen voran Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande - untereinander streitet: Einigkeit besteht doch darin, dass man sich nicht zum Schuldigen für die hausgemachten Probleme anderer machen lassen möchte, etwa von Obama, dessen Wahlkampf durch die Rezession in den USA belastet ist.

+++ Polit-Granden schlagen rauhe Töne in Los Cabos an +++

Europa holte noch vor dem Gipfelbeginn zum Gegenschlag aus. "Wir lassen uns hier von niemandem belehren", gab EU-Kommissionschef José Manuel Barroso die Marschrichtung vor. Dass die Krisenbewältigung so lange dauere, liege daran, dass sich im Euro-Klub 17 demokratische Staaten einigen müssten. Im Klub der G20 seien ja nicht nur Demokratien, erinnerte Barroso. Ein Seitenhieb auf China. Und für die USA hatte er auch noch einen parat. Als ein kanadischer Journalist ihn fragte, warum der Internationale Währungsfonds (IWF) eigentlich für die Probleme der Europäer zahlen müsse, giftete der Kommissionspräsident zurück: "Diese Krise hat ihren Ursprung in Nordamerika durch die unorthodoxe Praxis in einigen Bereichen des Finanzmarktes."

Der Druck von außen wirkte auf das europäische Lager integrierend. Das Abschlussdokument des Gipfels wird einen Absatz zur Euro-Krise enthalten, in dem die Fortschritte gelobt, aber auch weitere Kraftanstrengungen gefordert werden. Den Passus hatten die Europäer vorbereitet und mit nach Los Cabos gebracht. Sie verteidigten ihn eisern, was vor allem die deutsche Seite als Erfolg verbuchte. Ihren Krisenbekämpfungsplan wollten die Euro-Chefs nicht am Pazifik mit Obama verhandeln, sondern zu Hause in Brüssel, beim EU-Gipfel Ende Juni. Mehr konnte sich Merkel nicht erhoffen. Allerdings hat der Frieden seinen Preis: Er ließ sich nur bewahren, weil sich die Regierungschefs einigten, sich nicht zu einigen. Die Abschlusserklärung von Los Cabos bietet so für jeden etwas.