Lage im türkisch-syrischen Grenzgebiet dramatisch. Vereinbarung über Waffenruhe hinfällig. Berichte über Massenexekutionen

Istanbul/Beirut. Die Schüsse syrischer Truppen auf Flüchtlinge im türkischen Grenzgebiet haben die Hoffnungen auf eine schnelle Waffenruhe in Syrien nach Auffassung der Regierung in Ankara zunichte gemacht. "Der 10. April ist hinfällig geworden", zitierten türkische Medien Vizeaußenminister Naci Koru. Heute Morgen sollte mit dem Abzug der syrischen Truppen aus den Städten die Umsetzung der vom Uno-Sondergesandten Kofi Annan vermittelten Waffenruhevereinbarung beginnen. Das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad hatte die Zusagen allerdings wieder infrage gestellt.

Die Grenzverletzung durch die syrischen Truppen belastete das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Ankara und dem Assad-Regime weiter. "Von morgen an wird ein neues Kapitel beginnen", kündigte Koru an. Ankara hatte zuvor bereits eine scharfe Warnung an das Regime in Damaskus gerichtet und das sofortige Ende der Angriffe gefordert. Zudem wurden die Truppen im Grenzgebiet verstärkt.

Syrische Truppen hatten am Montagmorgen bei Kämpfen mit Rebellen auf türkisches Gebiet geschossen und mindestens drei Menschen verletzt. Darunter war auch ein türkischer Dolmetscher, der in einem Flüchtlingslager arbeitete. Auf syrischer Seite wurden nach türkischen Berichten zwei Menschen getötet und weitere verletzt. Andere Berichte sprachen von mehr Verletzten. Syrische Oppositionelle meldeten zwei Todesopfer, aber diese Angaben konnten nicht bestätigt werden.

Das Syrische Observatorium für Menschenrechte erklärte, der Zwischenfall habe gegen 4 Uhr am Montagmorgen begonnen. Kämpfer der Opposition hätten syrische Soldaten am Grenzübergang Salameh angegriffen. Es sei zu einem längeren Feuergefecht gekommen, bei dem sechs Regierungssoldaten ums Leben gekommen seien. Acht verletzte Regimegegner seien in das Flüchtlingslager auf der türkischen Seite der Grenze geflüchtet, und die Syrer hätten weiter auf sie geschossen.

Auch an der syrisch-libanesischen Grenze kam es zu Schießereien. Dabei wurde nach Angaben aus Sicherheitskreisen ein Kameramann getötet. Libanesische Sicherheitskräfte erklärten, der Mann habe für den Fernsehsender al-Dschadid TV gearbeitet. Er habe in der libanesischen Region Wadi Chaled gefilmt, als er angeschossen worden sei. Die Schüsse seien offenbar von der syrischen Seite abgefeuert worden.

Unterdessen dauerten die internationalen Bemühungen an, doch noch eine Waffenruhe zu erreichen. Russland empfing den syrischen Außenminister Walid Moallem, während der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Peking eintraf. Es war nicht klar, ob Moskau versuchen würde, Syrien zur Einhaltung des Friedensplans zu drängen. China räumte Differenzen mit der Türkei über das weitere Vorgehen ein. Bei ihren jüngsten Offensiven töteten syrische Regierungstruppen einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge mehr als 100 Menschen - meist Zivilpersonen.

In Homs und Idlib wurden dem Papier zufolge Massenerschießungen durchgeführt. Tatsächlich könnte es allerdings noch deutlich mehr Opfer geben, teilte die Organisation mit. Es seien nur Fälle aus den vergangenen vier Monaten dokumentiert worden, die von Augenzeugen belegt seien. Es gebe Berichte über weit mehr Exekutionen. Die meisten fanden demnach im März statt.

Papst Benedikt XVI. hat in seiner Osterbotschaft ein sofortiges Ende des Blutvergießens in Syrien gefordert. Es müsse "unverzüglich der Weg der Achtung, des Dialogs und der Versöhnung eingeschlagen werden", mahnte das Kirchenoberhaupt vor Hunderttausenden Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom. Der Papst will im September den Libanon besuchen, wie Radio Vatikan berichtete. Er wolle in Beirut eine große Messe halten.