Französische Behörden durchsuchen nach dem Anschlag auf eine jüdische Schule in Toulouse das Internet nach einem Video der Tat.

Paris/Toulouse. Er hatte stets einen dunklen Motorradhelm auf und verschwand wieder nach einigen Sekunden: Bei der Fahndung nach dem Serienmörder von Toulouse muss sich die Polizei auf alle verfügbaren Details stützen. Wichtigster Anhaltspunkt ist dabei das immer gleiche Schema seiner Taten.

Mit derselben Munition wie an der jüdischen Schule wurden in Toulouse vor gut einer Woche ein Fallschirmjäger von einem Unbekannten erschossen, wenige Tage später dann mussten zwei weitere Fallschirmjäger im rund 50 Kilometer entfernten Montauban ihr Leben lassen. Und auch die an der jüdischen Schule in Toulouse am Montag erschossenen drei Kinder und ein Rabbiner wurden mit denselben Projektilen ermordet.

Der Täter konnte die Waffen offenbar schnell und gut bedienen. Er benutzte jeweils eine automatische Feuerwaffe mit großem Kaliber, die nicht auf legalem Wege zu erwerben ist. „Diese Waffe ist schwer und massiv“, sagte Benoit Ebel von der Polizeigewerkschaft Synergie in einem Radiointerview. Das lässt die Ermittler vermuten, dass der Täter möglicherweise einen Waffenschein besitzt und in jedem Fall ein geübter Schütze sein muss.

Die Art, wie er seine Opfer aus nächster Nähe erschoss und diesen nicht den Hauch einer Chance ließen, lässt ebenfalls auf seine Kaltblütigkeit schließen. In den Leichen der Fallschirmjäger fanden sich jeweils drei bis vier Projektile zwischen Gehirn und oberer Wirbelsäule – und schon ein einziges hätte den sicheren Tod bedeutet.

Auch die Kamera, die er laut Zeugenaussagen offenbar um den Hals trug, ist ein wichtiges Indiz auf seine Persönlichkeit: Offenbar will der Mann sich später seine Gräuel-Taten noch einmal vor Augen führen. Vielleicht plant er auch eine Video-Nachricht zu senden. Die Polizei schätzt ihn als eiskalt und berechnend an. Jeden seiner Tatorte scheint er geplant zu haben, nichts überließ er dem Zufall. Auf der Munition hinterließ er weder Fingerabdrücke noch sonstige Spuren, sodass die Fahnder davon ausgehen, er sei sehr bedacht vorgegangen und habe seine Tat in Plastikfolie gehüllt vorbereitet.

Die technische Kenntnis von Waffen lässt die Ermittler auf einen Täter aus dem soldatischen Umfeld schließen. Laut französischer Medienberichte würde dabei ein Trio aus dem Tatort Montauban genauer untersucht, das schon 2007 durch Fotos aufgefallen war, auf denen sich die drei Männer in Nazi-Flaggen hüllten. Einer von ihnen ist inzwischen bei den französischen Gebirgsjägern, ein weiterer arbeitete bis vor kurzem in einem Restaurant in Montauban, dem Unglücksort. Zu dem dritten fehlt jede Spur, sie soll nun laut den Ermittlern wieder aufgenommen werden.

Nun kann sich die Polizei auf mehrere Videobänder stützen: Der Pausenhof der jüdischen Schule wurde ebenso überwacht wie einige Plätze und Straßen, die der Täter auf seiner Anfahrt und seiner Flucht benutzt haben muss. Außerdem, so die Zeitung „Le Parisien“, werden die Ermittler die gespeicherten Daten von Mobilfunkanbietern auswerten. So soll geklärt werden, ob der Mann möglicherweise Telefongespräche mit potenziellen Mittätern führte.

Die Opfer stehen so unter Schock und der Täter handelte so schnell, dass ihre Beschreibungen sehr vage sind. Übereinstimmend sagen die Zeugen, dass es sich offenbar um einen Mann mit weißer Hautfarbe handeln soll. Aber schon bei der Farbe seines Fahrzeugs erinnern sich einige an einen weißen, andere wiederum an einen schwarzen Motorroller. Anhand der Videoaufnahmen aber konnte die Polizei den Roller inzwischen identifizieren. Er soll vor kurzem in Toulouse gestohlen worden sein.

Nun gilt es, eine erneute und möglicherweise noch verheerendere Tat zu verhindern. Laut Meinung von Kriminalpsychologen scheint der Kriminelle sich bei jedem Akt zu steigern. Tatsächlich wurden bei den drei aufeinanderfolgenden Attentaten jeweils mehr Menschen erschossen. Zweihundert Spezialisten der französischen Kriminalpolizei sind inzwischen in Toulouse eingetroffen. Sie müssen den Täter finden, bevor er wieder töten kann.

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Die Ermittlungen konzentrieren sich auf ein islamistisches oder rechtsextremistisches Motiv, wie AFP unter Berufung auf eine nicht namentliche genannte Quelle in den Reihen der Ermittler berichtete. Jedoch würden auch andere Möglichkeiten in Betracht gezogen. Die Schüsse auf Schüler, Lehrer und Eltern in Toulouse kamen aus derselben Waffe, mit der in der vergangenen Woche drei Soldaten getötet und einer schwer verletzt worden waren – ebenfalls in Toulouse und in der etwa 50 Kilometer entfernten Gemeinde Montauban. Der Täter habe auch denselben, als gestohlen gemeldeten PS-starken Motorroller für seine Flucht genutzt, berichtete AFP unter Berufung auf Ermittler. Die Pariser Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Terrorismus.

Drei der Soldaten hatten Wurzeln in Nordafrika, einer war ein Schwarzer. Jedes Mal beschrieben Zeugen den Täter als einen schwarz gekleideten Mann, der auf einem Motorroller geflüchtet war.Am Montagabend trauert das unter Schock stehende Land um die vier Opfer von Toulouse. Am Dienstag soll ihnen bei einer Schweigeminute um 11.00 Uhr in allen Schulen gedacht werden. Mehr als 1000 Menschen kamen an Montagabend zu einer Feier in eine Pariser Synagoge. Unter den Teilnehmern waren Staatspräsident Nicolas Sarkozy, sein sozialistischer Herausforderer bei den Präsidentenwahlen, François Hollande, sowie mehrere Minister. Eine Demonstration von mehreren tausend Trauernden, die der Verband jüdischer Studenten in Frankreich organisiert hatte, führte vom Platz der Republik zur Bastille. Viele der meist jungen Teilnehmer schwenkten zum Zeichen der Einheit französischen Fahnen, berichteten Medien am späten Abend.

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Wegen des Anschlags unterbrachen die Parteien vorübergehend den Präsidentschaftswahlkampf. Sarkozy reiste noch am Vormittag nach Toulouse. Auch Hollande sagte alle Parteitermine ab und informierte sich am Nachmittag am Tatort. Sarkozy sprach von einer nationalen Tragödie. Nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts im Élysée am Abend verhängte er die höchste Terror-Alarmstufe für die Region. Alle jüdischen und muslimischen Einrichtungen werden nun besonders gesichert.

Die Anschläge bringen das Thema Innere Sicherheit im laufenden Präsidentenwahlkampf nach oben auf die Tagesordnung. Sarkozy hatte zuletzt rechtspopulistische Töne angeschlagen und vor zu vielen Ausländern im Land gewarnt. Bei der Tat am Montagmorgen kurz vor Unterrichtsbeginn schoss der Unbekannte nach unbestätigten Berichten aus zwei Waffen um sich. Er eröffnete in dem Wohnviertel unvermittelt das Feuer auf eine Gruppe von Eltern und Schülern. Einige Kinder verfolgte er bis aufs Schulgelände.

In der Region geht nun die Angst vor weiteren Anschlägen um. Der Bürgermeister von Toulouse, Pierre Cohen, verwies im TV-Nachrichtensender BFM auf die Kaltblütigkeit des Täters. „Wir sind extrem beunruhigt“, sagte er. Vertreter jüdischer Gemeinden und der jüdische Weltkongress äußerten sich schockiert. Das israelische Außenministerium sprach von Entsetzen über die Nachrichten. Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Außenminister Guido Westerwelle verurteilten den Anschlag. Regierungssprecher Steffen Seibert teilte am späten Montagabend mit, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Sarkozy ihr Mitgefühl nach dem Anschlag von Toulouse und den Soldatenmorden übermittelt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte die Tat scharf und sprach den Familien der Opfer und der jüdische Gemeinschaft sein tiefes Beileid aus.

Mit Material von dapd