Der Name Joseph Kony erschüttert die Netzwelt. Der ugandische Rebellenführer soll für seine Gräueltaten gefasst werden – mittels Social Media.

Hamburg. Die Klickzahlen haben sich in den letzten 24 Stunden mehr als verdreifacht. Die Unterstützung über Facebook und Twitter wächst minütlich. Aber mit den Unterstützern der Kampagne "Kony 2012" wächst auch die Zahl der Kritiker. Die Herangehensweise, die Finanzierung und Darstellung des Problems sind einige Argumente der Kritiker. Die Macher des Films nehmen auf ihrer Seite zu den Vorwüfen Stellung und die Zahl derer, die das Video teilen, zieht im weltweiten Datennetz immer weitere Kreise.

Und dies liegt vielleicht auch daran, dass die Zeit einer technologischen Revolution, ähnlich wie Twitter und Co. den arabischen Frühling unterstützt haben, gekommen ist. Dies ist zumindest die Intention des Videos, das mit dem Zitat von Victor Hugo beginnt: "Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“. Der französische Schriftsteller konnte nicht ahnen, dass seine Idee von Revolution und Aufbegehren einmal innerhalb weniger Stunden über zehn Millionen Menschen vereinen würde.

„Kony 2012“ heißt das Phänomen, unter dem sich die weltweite Netzgemeinde derzeit vereint. Die amerikanische Organisation „Invisible Children Inc.“ lancierte am Montag ein halbstündiges Video im Internet. So unscheinbar es auf den ersten Klick wirkt, entfaltet es seinen herzzerreißenden Appell in den folgenden Minuten nur umso schneller.

Joseph Kony ist Anführer der ugandischen Rebellenarmee LRA (Lord’s Restistence Army, frei übersetzt „Widerstandsarmee des Herrn“). Und: Joseph Kony soll ein Verbrecher sein. Er wird mit internationalem Haftbefehl gesucht, ihm werden zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in dem zentralafrikanischen Land vorgeworfen. In den 26 Jahren seiner Untergrund-Regentschaft sollen unbestätigten Quellen zufolge mehr als 66.000 Kinder entführt, zu Kindersoldaten und (Sex-)Sklaven gemacht worden sein.

Jacob wünschte sich, er wäre tot

Im Jahr 2003 traf der amerikanische Filmemacher Jason Russell den ugandischen Jungen Jacob. Dieser erzählte ihm, wie Konys Rebellen seinen Bruder mit einer Machete getötet hätten. Die nun kursierende Dokumentation zeigt einen tief verängstigten Jacob, der sich den Tod wünscht, um wieder bei seinem Bruder zu sein.

Unter der Flagge der Menschlichkeit kämpft Jason Russell seither für die Festnahme des Verbrechers Joseph Kony und ein Ende von dessen Gräueltaten.

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Der finale Schlag in seinem Streben soll nun die Kampagne „Kony 2012“ sein. Innerhalb von zwei Tagen sahen die Dokumentation auf den Internet-Plattformen Youtube und Vimeo über 10.000.000 Menschen, eine weitere Million Instant-Aktivisten folgen der Kampagne inzwischen via Facebook. Ihr Ziel: Noch 2012 soll Kony gefasst werden. Im Twitter-Wald zwitschert es „Kony 2012“ von sämtlichen Bäumen – die Kampagne wurde am Mittwoch zum Thema des Tages, soll sogar, so wird spekuliert, für den zweistündigen Serverausfall bei Facebook am Morgen verantwortlich sein. Unzählige Male wurde das Video geteilt – und rief kontroverse Diskussionen hervor.

Die noble causa verbindet eine Netzgemeinde, die schon längst grenzenlos ist. Aus allen Ecken der Welt – von Libanon bis Argentinien - hallen die „Goodwill“-Botschaften. In Zeiten, in denen der arabische Frühling auf Twitter, Facebook und Co. ungehemmt seine Knospen treibt, hoffen Russell und seine Mitstreiter auf einen ähnlichen Effekt in ihrer Sache.

Kritiker sprechen von „weißem Gutmenschentum“

Ihre Offensive stößt allerdings auch auf Widerstand. Die Arbeit lokaler NGOs werde ausgeblendet, heißt es da. Auch sei „Kony 2012“ eine Form des weißen Gutmenschentums, das stark an den Kolonialismus erinnere. Und der gebürtige Ugander Musa Okwanga schrieb im englischen „Independent“, „Kony 2012“ lasse einen zentralen Aspekt außen vor: „Wenn ein Mann jahrzehntelang Verbrechen gegen die Bevölkerung eines Landes begeht, gibt es immer einen Haufen mächtiger Leute, die ihn gewähren lassen. Deshalb müsse die Politik des ugandischen Präsidenten Musenevi zentraler Bestandteil der Lösung dieses Problems sein.“

Vor allem die Finanzierung der Aktivisten wird im Netz kritisiert. So soll die Gruppe offenbar nur ein Drittel ihrer Spenden für konkrete Hilfe nutzen. Der Rest der Einnahmen aus Spenden gehe für den Film, für Reisen und Gehälter drauf. DIe Gruppe stellt sich dieser Kritik auf ihrer Internetseite. Auch die Herangehensweise wird von den Gegnern der Kampagne kritisiert

Der ugandische Journalist Angelo Izama schreibt laut "Spiegel online" : "Das Muster Gut gegen Böse, wobei Gut offensichtlich weiß/westlich und Böse schwarz oder afrikanisch ist, erinnert an die schlimmsten Zeiten der Kolonialära."

Die Seite zitiert auch Solome Lemma aus Äthiopien, die erklärt: "Diese Geschichte von "Invisible Children" über Uganda beschreibt die Menschen als Opfer, ohnmächtig und ohne Stimme, Willen oder Macht. Sie animiert Brigaden amerikanischer Studenten, sie zu befreien und den hässlichen Kerl beiseite zu schaffen, der der Grund für ihr Leiden ist. Eine schöne Fehleinschätzung der Realität vor Ort."

Russell und Co lassen sich in ihrem nun schon jahrelangen Kampf freilich nicht entmutigen. Sie träumen von der „New York Times“-Schlagzeile „Kony festgenommen“, sind von ihrer Sache überzeugt. Mit dem simplen Verteilen des Videos ist es nach dem Wunsch der Kreatoren nicht getan. Sie hoffen auf Spenden, wollen digitale Signaturen unter ihre Online-Petition und setzen auf die volle Entfaltungskraft des World Wide Web. Poster und Aufkleber in den Straßen rund um den Globus sollen fotografiert und in ein Web-Tracking-System eingetragen werden, um der Welt die lokale Unterstützung universal zugänglich zu machen.

+++ Zum Töten gezwungen - die Kindersoldaten von Gulu +++

„Cover the Night“ Mitte April ist noch so ein Bestandteil der Kampagne. Dort soll der Mensch "die Anonymität des Netzes endgültig verlassen, sollen sich die Unterstützer greifbar formieren und dem Aufschrei im Dunkel der Nacht eine Stimme verleihen. Man gestalte die Geschichte der Menschheit", verkünden die Initiatoren vollmundig.

Russell glaubt, dass nicht mehr nur das Geld den Gang der Welt bestimmt, sondern das Pulverfass Social Media zu einer wahren Entscheidungsgewalt werde. Twitter und Facebook als ein Sammelsurium der Stimmen der Völker, eine Agora der Moderne.

„Nobody is taking care of us“, stammelt Jacob, der ugandische Junge, in Russels Kamera. Er konnte nicht ahnen, dass sich das schon bald ändern würde.