Israels Ministerpräsident Netanjahu und US-Präsident Obama sind zerstritten über möglichen Militärschlag. Sechsergruppe will wieder verhandeln

Hamburg. Es gehört zu den Ritualen politischer Gipfeltreffen, dass die Teilnehmer am Ende gern ihre Einigkeit betonen, um die Veranstaltung als Erfolg verbuchen zu können. Doch die diesbezügliche Erklärung, die zum Ausklang der Begegnung zwischen US-Präsident Barack Obama und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in Washington zu hören war, kam dünner als amerikanisches Bier daher.

Man stehe im Bemühen zusammen, eine iranische Atombewaffnung zu verhindern, hieß es. Den Mienen der beiden Staatsmänner war zu entnehmen, dass dieser Gipfel keinem von ihnen sonderlich viel Freude bereitet hatte. Netanjahu hält den Demokraten Obama für zu weich; Obama kann dem hartleibigen Kurs des Israeli in Sachen Palästina und Iran wenig abgewinnen.

Der US-Präsident betonte bezüglich der iranischen Atomkrise: "Wir glauben, dass es noch immer ein Fenster gibt, das eine diplomatische Lösung dieses Themas gestattet." Der US-Geheimdienst CIA unterstützt Obama in dieser Beurteilung; er hat gerade erklärt, er sehe derzeit keine Beweise für einen iranischen Bombenbau.

Zugleich betonte Obama, dass seine Politik darauf ausgerichtet sei, eine iranische Bombe zu verhindern - und dass er alle Optionen auf dem Tisch belasse. "Und das meine ich auch so", fügte er bedeutungsschwer hinzu. Denn die Wendung "alle Optionen" bezieht sich üblicherweise auf militärische Gewalt.

Netanjahu gab sich in Washington wenig Mühe, Harmonie herzustellen. Vor der mächtigen proisraelischen Lobbyorganisation Aipac (American Israel Public Affairs Comittee) sagte er unverblümt: "Israel hat geduldig gewartet, dass die internationale Gemeinschaft dieses Problem löst. Wir haben darauf gewartet, dass die Diplomatie wirkt. Wir haben darauf gewartet, dass die Sanktionen wirken. Keiner von uns kann es sich leisten, noch viel länger zu warten. Als Ministerpräsident Israels werde ich mein Volk nicht im Schatten der Vernichtung leben lassen." Und: "Der jüdische Staat wird es jenen, die uns zerstören wollen, nicht erlauben, die Mittel zu diesem Zeck zu erlangen."

Dies bezog sich offenbar auf die Drohungen des iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad, Israel "von der Landkarte zu löschen", sowie auf die jüngsten Äußerungen des iranischen Revolutionsführers Ali Chamenei, der Staat Israel sei ein "Krebsgeschwür", das man "entfernen" werde.

Nach dem Bericht der israelischen Zeitung "Jedioth Achronot" betonte Netanjahu gegenüber Obama sein Recht, sich unabhängig von Washington jederzeit für einen Angriff auf den Iran entscheiden zu können. Allerdings habe er diese Entscheidung derzeit noch nicht getroffen. Doch müsse Israel "Herr seines Schicksals" bleiben. Dies war auch eine direkte Reaktion auf Obamas Forderung, das "leichtfertige Gerede vom Krieg" bleiben zu lassen. Obama ließ sich nicht auf Netanjahus Forderung ein, Iran bei einem Überschreiten einer "roten Linie" anzugreifen.

Am Montag hatte der Chef der Internationalen Atomenergieagentur IAEA, Yukio Amano, betont, seine Organisation hege "ernsthafte Besorgnis" bezüglich einer möglichen militärischen Komponente des iranischen Atomprogramms.

Angesichts der wachsenden Kriegsgefahr haben die fünf ständigen Mitglieder des Uno-Sicherheitsrats und Deutschland ein Gesprächsangebot der Teheraner Führung angenommen. Die Außenpolitik-Beauftragte der EU, Catherine Ashton, schrieb an den iranischen Chefunterhändler Said Dschalili, sie habe im Namen der Gruppe der sechs Staaten das Angebot des Iran vom 14. Februar akzeptiert. Sie hoffe auf einen konstruktiven Dialog, erklärte Ashton gestern in Brüssel.

Die Gesprächsrunde des Iran mit den USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China und Deutschland ist seit etwa einem Jahr ausgesetzt. Der Westen hatte zunächst zurückhaltend auf die Offerte reagiert, da der Iran parallel zu seinem Gesprächsangebot die Urananreicherung ausgebaut hat.

In den USA wird der Konflikt längst von den republikanischen Gegnern Obamas als Munition im Wahlkampf verwendet. Der derzeit führende Kandidat Mitt Romney sagte, im Falle von Obamas Wiederwahl werde der Iran die Atombombe bauen können. Sein innerparteilicher Hauptrivale Rick Santorum meinte, Obamas Iran-Strategie verwandle die USA in einen "Papiertiger". Und Kandidat Newt Gingrich sagte, die Amerikaner würden unter Obama vom Iran "zum Narren gehalten".

Doch die "New York Times" untersuchte einmal konkret die Vorschläge, die die Republikaner zur Lösung dieser Krise gemacht haben - darunter verschärfte Sanktionen und Seemanöver im Persischen Golf - sie decken sich praktisch mit Obamas Politik.

Nicholas Burns, Iran-Chefunterhändler im US-Außenministerium unter US-Präsident George W. Bush, sagte: "Die Angriffe auf Obama besagen im Prinzip: 'Er ist schwach, und wir sind stark.' Aber wenn man genauer hinsieht, kann man gar keine Unterschiede erkennen." Und der Iran-Experte Abbas Milani von der Stanford-Universität, der sowohl Bush als auch Obama beraten hat, meinte über die republikanischen Kandidaten: "Ihre Äußerungen scheinen sich mehr im Reich ihrer Fantasie zu bewegen; und was sie so denken, erscheint als gute Politik nur im Wahlkampf - ohne allerdings dabei die Realitäten zu berücksichtigen."