Israels Regierungschef Netanjahu zwingt Obama in der Iran-Atomkrise in ein Dilemma

Eines Mimikexperten bedurfte es da wirklich nicht. Beim Gipfeltreffen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus wurde für jedermann sichtbar: Hier begegnen sich zwei Staatsmänner, die sich nicht ausstehen können, die sich zutiefst misstrauen und die in entscheidenden politischen Fragen völlig unterschiedlicher Meinung sind.

Nun kommt dies sicher häufig unter den Politikern der Welt vor, und es bleibt in der Regel folgenlos. Doch in diesem Fall geht es buchstäblich um Leben oder Tod. Netanjahu hat in den USA keinen Zweifel daran gelassen, dass Israel versuchen könnte, das iranische Atomproblem mit militärischen Mitteln zu lösen. Denn Jerusalem laufe im Rennen um die Bombe die Zeit davon. Obama wiederum will unbedingt vermeiden, dass die USA nach Afghanistan und Irak in einen dritten Krieg mit einem muslimischen Land hineingezogen werden.

Für den Hardliner und ehemaligen Elitesoldaten Netanjahu liegt die Priorität darin, eine existenzielle Bedrohung für Israel abzuwenden. Und immer wieder bemüht er drastische Parallelen zum Holocaust, obwohl die Lage der äußerst wehrhaften Juden in Israel in keiner Weise vergleichbar ist mit der Situation in Deutschland in den 40er-Jahren. Netanjahu gießt ebenso Öl ins Feuer dieser Krise wie das iranische Regime. Und wie in Teheran auch richten sich die martialischen Worte in erster Linie nach innen; es geht hier wie dort nicht zuletzt um politischen Machterhalt und patriotischen Zusammenhalt.

Doch zugleich zerrt Netanjahu Obama damit in ein höchst ungemütliches Dilemma. Der US-Präsident, der im November wiedergewählt werden will, kann sich angesichts leerer Kassen und eines kriegsmüden Volkes keinen weiteren militärischen Konflikt leisten - zumal einen, dessen Konsequenzen völlig unabsehbar sind.

Andererseits kann er es sich auch nicht leisten, Israel im Stich zu lassen und damit die mächtige jüdische Wählerschaft in den USA zu verprellen. Daher hat er, politisch auf einer Rasierklinge balancierend, zum einen erklärt, es stünde noch genügend Zeit für friedliche Lösungen zur Verfügung, und andererseits Militärschläge der USA nicht ausgeschlossen. Man sieht Obama an, wie sehr er es Netanjahu übel nimmt, ihn zu dieser politischen Akrobatik gezwungen zu haben.

Dem israelischen Regierungschef dürfte klar sein, dass Israels Militär vermutlich gar nicht imstande ist, das iranische Atomprogramm im Alleingang auszuschalten. Mit anderen Worten: Einen Krieg, den Netanjahu begänne, müsste Obama beenden. Und das ist auch das Kalkül des Jerusalemer Regierungschefs. Er setzt darauf, dass sich die Iraner entweder noch besinnen oder letztlich von den USA zur Besinnung gebracht werden.

Dass die Mullahs tatsächlich schon an der Bombe bauen, ist keineswegs bewiesen, doch allein der begründete Verdacht könnte nicht nur einen regionalen Flächenbrand auslösen, sondern auch Irans sunnitischen Rivalen Saudi-Arabien dazu bewegen, sich ebenfalls Atomwaffen zuzulegen. Es ist eine albtraumhafte Vorstellung, dass irgendwann eine ganze Reihe von politisch instabilen Tyranneien, mehr oder weniger eng verbandelt mit irrational agierenden radikalislamischen Terrorgruppen, über Nuklearwaffen verfügen.

Vorrang für die internationale Politik muss es nun haben, auf beide Seiten mäßigend einzuwirken, das Kriegsgeschrei zu dämpfen, um noch alle Chancen für eine zivile Lösung auszuloten. Vom Streben nach dem Rang einer Atommacht verspricht sich der Iran offenbar eine regionale Führungsposition sowie militärische Unverwundbarkeit. Doch das Regime muss begreifen, dass die wirtschaftlichen und politischen Risiken seines Konfrontationskurses diesen möglichen Nutzen bei Weitem übersteigen.