Harte Sparauflagen treiben extremen Linken und Rechten Wähler zu. Die klassische Parteienlandschaft ist vor der Wahl im April in Auflösung begriffen

Hamburg. Als Gegenleistung für riesige Kredite an das hoffnungslos verschuldete und wirtschaftlich daniederliegende Griechenland haben die europäischen Mächte den Hellenen von außen eine Regierung aufgezwungen.

Das war übrigens 1832 - gerade einmal zwei Jahre, nachdem sich die Griechen in einem blutigen Befreiungskrieg vom Joch der jahrhundertelangen osmanischen Herrschaft befreit hatten. Der bayerische Prinz Otto wurde als König installiert, und als die Griechen ihn 1862 aus dem Amt drängten, wurde Prinz Wilhelm von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg als Georg I. sein Nachfolger. Er wiederum wurde nur ein Jahr später ermordet.

Die Griechen, zu Recht stolz auf ihre grandiose antike Vergangenheit, schätzen es aufgrund leidvoller historischer Erfahrungen nicht übermäßig, wenn man ihnen vorschreiben will, wie sie ihr Land zu führen haben. So ist der erbitterte, teilweise geradezu hasserfüllte Widerstand gegen die strengen Auflagen der EU zu erklären.

Doch gebe es die Hilfen und Sparauflagen nicht, drohte Griechenland in einem Monat die Staatspleite. Die Finanzminister der Euro-Gruppe kamen gestern in Brüssel zusammen, um den Rettungsfahrplan für Athen festzuzurren. Mit einem Schuldenverzicht der Privatgläubiger von 100 Milliarden Euro und mindestens 130 Milliarden Euro an weiteren Notkrediten aus dem Rettungsschirm soll die Schuldentragfähigkeit der Hellenen dauerhaft gesichert werden. Zudem sollen Gewinne der Europäischen Zentralbank (EZB) aus ihren Griechenland-Anleihen in den kommenden Jahren an Athen zurückfließen.

Das griechische Parlament hatte erst am Wochenende die letzten Sparbeschlüsse bewilligt und damit den Weg zu neuer Hilfe geebnet. Sein Land habe alle Bedingungen erfüllt, sagte Finanzminister Evangelos Venizelos. "Folglich erwarten wir, dass heute eine lange Periode der Unsicherheit zu Ende geht, die weder Griechenland noch der Euro-Zone genützt hat."

Darin klang Kritik an Deutschland und den Niederlanden mit, die bis zuletzt nicht von der Umsetzung der Reformen in Griechenland überzeugt waren. Dass die zentralen Gesetze nun unter Dach und Fach seien, sei wichtig, sagte der niederländische Ressortchef Jan Kees de Jager. Zugleich pochte er darauf, dass die Umsetzung der Beschlüsse künftig dauerhaft von Experten der EU in Athen kontrolliert werden. Und das Geld dürfe nur für die Begleichung der Schulden verwendet werden. Das bedeutet einen zumindest teilweisen Verzicht der Griechen auf ihre Haushaltssouveränität. Darüber hinaus bleiben grundsätzliche Bedenken, ob Griechenland ohne einen vollständigen Schuldenerlass und einen Austritt aus der Euro-Zone die Spirale aus Wirtschaftseinbruch und politischer Unsicherheit durchbrechen kann.

Das ist starker Tobak für die Hellenen, die sich ohnehin schon von den Nordeuropäern - vor allem von den Deutschen - bevormundet sehen. Die Wut der Griechen ist aber auch verständlich - treffen die Sparmaßnahmen doch vor allem Mittel- und Unterschicht hart. Die Reichen schafften derweil Milliarden ins Ausland. Die Verarmung großer Schichten der Bevölkerung führt auch zu einem politischen Umbruch. Im April soll ein neues Parlament gewählt werden. Schon jetzt ist absehbar, dass die lange dominierende sozialistische Pasok-Partei, die 2009 noch 44 Prozent erhalten hatte, wohl unter zehn Prozent fallen dürfte. Und die rechtsnationalistische Laos sowie die rechtsextreme Chrysi Avgi werden den gemäßigten Konservativen der Nea Dimokratia Stimmen abnehmen.

Als mögliche Gewinner der Krise werden vor allem die drei Parteien auf dem äußersten linken Flügel des Polit- Spektrums gesehen: die teilweise trotzkistische Koalition der radikalen Linken (Syriza), die Kommunisten (KKE) und die Demokratische Linke. Ihnen wird zugetraut, an den Urnen zusammen mehr als 40 Prozent zu erreichen. Hintergrund: Diese Parteien haben sich vehement gegen die Annahme der EU-Forderungen gestemmt. Die klassische Parteienlandschaft Griechenlands ist in Auflösung begriffen; die Bürger erfahren in ihrer Not wenig Führung und Orientierung. Es fehlen die zündenden Ideen zur Bewältigung der traumatisierenden Krise. Die Wähler zeigen daher die Neigung, sich zu polarisieren.

Als wahrscheinlich gilt eine Koalitionsregierung nach den April-Wahlen, doch niemand weiß, wie diese aussehen wird; man kann sich aber vorstellen, dass sie politisch labil und kompliziert werden wird. Entweder raufen sich die Hüter des alten Systems, Pasok und Nea Dimokratia, der Macht halber zusammen, oder es kommt zu völlig neuen Konstellationen. Die Vorstellungen der griechischen Wähler zu einer geeigneten Regierung, so meinte Nick Malkoutzis in der Zeitung "Ekathimerini", könnten an der Urne "in direkten Konflikt" mit den entsprechenden Vorstellungen der internationalen Geldgeber, vor allem der EU, kommen.