Wütende Demonstranten stürmten am Freitag die Steuerbehörde in Kairo und belagerten den zweiten Tag in Folge das Innenministerium.

Kairo/München. Die Gewalt in Ägypten nimmt kein Ende. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei sind am Freitag in Ägypten mindestens fünf Menschen getötet und über 1.500 weitere verletzt worden. In der Hauptstadt Kairo schleuderten Demonstranten Steine auf die Sicherheitskräfte. Die Polizei feuerte mit Tränengas und Schrotmunition in die Menge.

+++Generäle im Zwielicht+++

+++"Ein böser Flaschengeist hat das Land in seiner Macht"+++

+++Bürgerkrieg im Fußballstadion+++

Nach den Stadionkrawallen mit 74 Toten am Mittwoch warfen die Protestierenden den Sicherheitskräften Versagen, teilweise auch absichtliche Untätigkeit vor. In Sprechchören forderten sie am Freitag die Hinrichtung des Vorsitzenden des Militärrats, Feldmarschall Hussein Tantawi. Demonstranten mit Helmen und Gasmasken bahnten sich in Kairo ihren Weg Richtung Innenministerium. Bei Einbruch der Dunkelheit ging ein Regierungsgebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite in Flammen auf.

Der regierende Militärrat veröffentlichte am späten Abend eine Stellungnahme, in der er die Ägypter zur Einigkeit aufrief und die gegenwärtige Situation als „gefährlichste und wichtigste Phase in der ägyptischen Geschichte“ bezeichnete.

Ministerpräsident Kamal el Gansuri forderte die Intellektuellen des Landes auf, einzugreifen und die Gewalt zu stoppen. Auf der Facebookseite des Kabinetts schrieb der Regierungschef, er befürchte, die Demonstranten wollten das Innenministerium stürmen.

Bei den Ausschreitungen in Kairo wurde ein Demonstrant vor dem Innenministerium aus nächster Nähe erschossen, wie ein Arzt mitteilte. Zahlreiche Menschen seien mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht worden. In Suez feuerten Polizisten laut Augenzeugenberichten bei Demonstrationen mit scharfer Munition in die Menge, töteten drei Demonstranten und verwundeten 15 weitere Menschen. Einer der Verletzen schwebe in Lebensgefahr, berichteten Augenzeugen.

Der Sicherheitschef der Region bestritt, dass die Opfer durch Schüsse von Polizisten gestorben seien. Nach einem Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur MENA kam am Freitag ein Angehöriger der Sicherheitskräfte ums Leben, 138 weitere wurden demnach verletzt.

Die Demonstranten in Kairo und anderen Städten sowie Abgeordnete des neu gewählten Parlaments werfen der Polizei vor, gegen die Ausschreitungen in dem Stadion nicht entschieden vorgegangen zu sein oder die Gewalt sogar bewusst toleriert zu haben. Die Proteste richten sich auch gegen den regierenden Militärrat. Viele vermuten, dass hinter den Stadionkrawallen eine geplante Aktion der Generäle stecke, als Vergeltung für die Schlüsselrolle der als Ultras bekannten Fußballfans bei den Protesten, die zum Sturz des langjährigen Machthabers Husni Mubarak geführt hatten.

„Ich bin hierher gekommen, weil das, was in Port Said passiert ist, ein politischer Plan des Militärs ist, um zu sagen, entweder sie oder das Chaos“, sagte ein 19-jähriger Demonstrant.

In Kairo ließ sich der 18-jährige Jussef in einem provisorischen Lazarett behandeln, nachdem er an Armen und Rücken von Schrotmunition verletzt worden war. „Was kann ich tun? Ich bin hier, um Gerechtigkeit zu erfahren für meinen geliebten Bruder, der ums Leben gekommen ist“, sagte Jussef. „Entweder ich bekomme sie oder ich sterbe wie die anderen.“

Die Gewalt in Kairo begann am Donnerstagabend und eskalierte über Nacht. Demonstranten stürmten bei einem Protestmarsch die um das Innenministerium errichteten Barrikaden. Einige Demonstranten warfen mit Steinen und Schuhen und zündeten Autoreifen an, die Polizei feuerte Tränengas und Vogelschrot in die Menge. Hunderte Menschen wurden von Sanitätern behandelt.

Am Freitagnachmittag versammelten sich wieder Tausende Menschen auf dem Tahrir-Platz. Sie forderten vorgezogene Präsidentschaftswahlen und eine schnellere Machtübergabe des Militärrats an eine zivile Regierung. Etwa 1.500 Menschen marschierten zum Verteidigungsministerium und forderten in Sprechchören die Hinrichtung von Feldmarschall Tantawi. „Das Volk will den Marschall exekutieren“, skandierten sie.

Die Demonstranten vor dem Innenministerium erklärten, es nicht stürmen, sondern nur mit einem Sitzstreik gegen die Gewalt nach dem Fußballspiel protestieren zu wollen. Das Innenministerium forderte die Demonstranten in einer Erklärung dazu auf, in diesen kritischen Zeiten auf die Stimme der Weisheit zu hören und nicht weiter Chaos zu verbreiten.

In Alexandria zogen Tausende Menschen mit Fotos der bei den Stadionkrawallen Getöteten vor das örtliche Hauptquartier der Streitkräfte. In Port Said protestierten Hunderte gegen die Gewalt gegen Fußballfans am Mittwoch. Auf einigen Transparenten war zu lesen: „Port Said ist unschuldig, das ist eine billige Verschwörung.“