Ein auf YouTube aufgetauchtes Video löst weltweites Entsetzen aus und weckt Erinnerungen an den Abu-Ghraib-Folterskandal. Das Pentagon verspricht die völlige Aufklärung des Falls.

Washington. Ein auf YouTube aufgetauchtes Video löst weltweites Entsetzen aus und weckt Erinnerungen an den Abu-Ghraib-Folterskandal: Die Aufnahme, die die Strafverfolgungsbehörde der Marine (NCIS) derzeit untersucht, zeigt offenbar vier US-amerikanische Marineinfanteristen, die auf Leichen von Taliban-Kämpfern urinieren. Die Echtheit des Videos sei jedoch nicht bewiesen, teilte das Marinekorps in einer Stellungnahme mit. Wer das Video drehte und die Aufnahme ins Netz stellte, ist unklar. Auch konnte nicht herausgefunden werden, welche US-Soldaten dabei möglicherweise eine Rolle spielten. Die dort gezeigten Handlungen seien jedoch nicht vereinbar mit den Werten der Truppe. Der afghanische Präsident Hamid Karsai sprach von einem „völlig unmenschlichen“ Akt. „Die afghanische Regierung ist zutiefst verstört über ein Video, das zeigt, wie amerikanische Soldaten die Leichen von drei Afghanen entehren“, teilte der Präsidentenpalast in Kabul am Donnerstag mit.

Karsai forderte das US-Militär auf, die beteiligten Soldaten zu bestrafen. Auch die internationalen Truppen in Afghanistan und die US-Streitkräfte distanzierten sich in deutlichen Worten. „Dieser respektlose Akt ist unerklärlich und nicht vereinbar mit den hohen moralischen Standards, die wir von den Koalitionsstreitkräften erwarten“, erklärte die ISAF. Verantwortlich für die Tat sei offenbar eine kleine Gruppe von Soldaten, die nicht länger in Afghanistan sei, hieß es weiter. Ein Vertreter des Hohen Friedensrates der afghanischen Regierung erklärte, wegen derartiger Aufnahmen könnten die Taliban leicht junge Menschen für sich gewinnen. „Solche Taten haben einen sehr, sehr schlechten Einfluss auf die Friedensbemühungen“, sagte Arsala Rahmani. Dagegen erklärte ein Sprecher der Taliban in Afghanistan, es handle sich bei dem Video nicht um einen „politischen Vorgang“. Die Aufnahmen würden daher auch nicht die Gespräche mit den USA oder den geplanten Gefangenenaustausch beeinflussen.

Video weckt Erinnerungen

Am Mittwochmorgen kursierte das nur 39 Sekunden lange Video erstmals im Internet. Darauf sind vier mutmaßliche Marineinfanteristen in Kampfanzügen zu sehen, die lachend über den Körpern von drei Männern ihre Notdurft verrichten. Eine Video-Unterschrift beschreibt die Urinierenden als Mitglieder eines Sniper-Teams aus Camp Lejeune (US-Staat North Carolina), die Toten als Taliban-Kämpfer. Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums nannte das Video verstörend. Das Marineinfanteriekorps im Pentagon kündigte an, die Angelegenheit werde vollständig aufgeklärt. Der Rat für Islamisch-Amerikanische Beziehungen, eine Bürgerrechtsorganisation, verurteilte ebenfalls die Aufnahmen und sprach von einem Verstoß gegen das internationale Kriegsrecht. Sollte sich das Video als echt herausstellen, zeige es ein Verhalten, das völlig unziemlich für US-Militärangehörige sei „und das letztlich andere Soldaten und Zivilpersonen gefährden könnte“, heißt es in einem Schreiben des Rats an Verteidigungsminister Leon Panetta.

Die Aufnahme weckt Erinnerungen an an den Abu-Ghraib-Folterskandal, der weltweit für Aufregung sorgte. 2004 gelangten private Fotos an US-Medien, die zeigen, wie irakische Gefangene im Abu-Ghraib-Gefängnis im Irak von amerikanischem Wachpersonal um Charles Graner und Lynndie England gefoltert und erniedrigt werden. Mehrere Verantwortliche wurden damals zu empfindlichen Haftstrafen verurteilt. Die Folteraffäre löste zudem eine weltweite Debatte über Folter- und Verhörmethoden beim US-Militär aus. Doch die Folteraffäre ist nicht der einzige Vorfall, der in der Vergangenheit Empörung ausgelöst hatte. Auch Bundeswehr-Soldaten schockierten mit verstörenden Akten.

Im Februar 2006 strahlte der Fernsehsender "BBC" ein Video über prügelnde britischen Soldaten im Irak aus. Sie zerren irakische Jugendliche hinter eine Mauer, treten sie und schlagen mit Stöcken auf sie ein. Das Video wurde nach Medienangaben Anfang 2004 im südirakischen Basra von einem Unteroffizier aufgenommen. Im Hintergrund ist offenbar die Stimme des Kameramanns zu hören, der die Soldaten anfeuert. Im März 2011 tauchten Fotos von zwei US-Soldaten auf, die mit ihrem toten Opfer posieren. Die Männer reißen den Kopf eines am Boden liegenden Mannes hoch und blicken – der eine sogar lächelnd – in die Kamera. Die beiden gehören zu fünf Soldaten, die zwischen Januar und Mai 2010 aus purer Mordlust mehrere afghanische Zivilisten getötet haben sollen. Laut Anklage nahmen sie Körperteile ihrer Opfer als Trophäen mit. Deutschland reagiert im Oktober 2006 entsetzt auf Fotos von Bundeswehrsoldaten, die in Afghanistan einen Toten geschändet haben sollen. Auf den Bilder präsentieren die Soldaten der Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) einen Totenschädel – mit zum Teil obszönen Gesten. Die Fotos sollen in den Jahren 2003 und 2004 entstanden sein.

Dschihad wird fortgeführt

In einer Mitteilung kündigten die Taliban-Rebellen am Donnerstag an, sie wollten trotz möglicher Verhandlungen über eine politische Lösung des Konflikts in Afghanistan ihren „Heiligen Krieg“ gegen die ausländischen Truppen fortsetzen. In der Mitteilung heißt es, die Taliban hätten zwar ihre „politischen Bemühungen“ verstärkt. Das bedeute aber weder eine Abkehr vom „Dschihad“ noch eine Anerkennung der „Handlanger-Regierung“ in Kabul.

Die Taliban hatten in der vergangenen Woche mitgeteilt, die Aufständischen seien mit dem Golf-Emirat Katar darin übereingekommen, dort ein Büro zu eröffnen. Ziel sei ein „Dialog mit der Internationalen Gemeinschaft“. Der afghanische Präsident Hamid Karsai unterstützt die Eröffnung eines solchen Taliban-Büros. Die Nato will ihren Kampfeinsatz in Afghanistan 2014 beenden. Die afghanische Regierung und westliche Staaten bemühen sich seit einiger Zeit um Verhandlungen mit den Aufständischen. Ein Durchbruch ist bislang ausgeblieben. Selbst nach Eröffnung eines Taliban-Büros in Katar wären auf dem Weg zu möglichen Friedensgesprächen noch zahlreiche Hürden zu meistern.

Mit Material von dpa/dapd