Zehn Jahre nach der Ankunft der ersten Terroristen kann auch Obama das Lager auf Kuba nicht schließen. Nur wenige verließen es lebend.

Washington. Heute backt Abu Bakker Quassim in der albanischen Hauptstadt Tirana Pizza. Aber viereinhalb Jahre seines Lebens verbrachte der Chinese in Guantánamo, dem US-Stützpunkt auf Kuba, der heute vor zehn Jahren als Lager für Gefangene im "Krieg gegen den Terrorismus" in Betrieb genommen wurde. "Obama hat erkannt, dass Guantánamo ein Fehler war, der korrigiert werden muss", sagte der 43-jährige Quassim der indischen Zeitung "The Tribune", "aber China betrachtet uns immer noch als Terroristen." Unschuldig in amerikanischer Gefangenschaft: Quassim ging, so seine Darstellung, nach Afghanistan, weil er als Angehöriger der muslimischen Minderheit der Uiguren in seiner Heimatprovinz Xingjang Verfolgung ausgesetzt war. 2002 geriet er in US-Gefangenschaft. 2006 sprachen ihn die Amerikaner vom Vorwurf des Terrorismus frei. Eine Rückkehr nach China jedoch lässt Peking nicht zu. Albanien war bereit, dem Ex-Gefangenen eine zivile Zukunft zu bieten - als Pizzabäcker.

Es gibt auch die Schuldigen in Guantánamo. Soweit sich Schuld feststellen lässt ohne jedes Gerichtsverfahren oder nach Militärtribunalen mit eingeschränkten Rechten der Anwälte. Zum Beispiel Khalid Scheich Mohammed, nach eigenen Angaben "Mastermind" des Al-Qaida-Terroranschlags auf New York und Washington. Der Pakistaner hat sich auch damit gebrüstet, im Februar 2002 Daniel Pearl, den entführten Journalisten des "Wall Street Journals", eigenhändig vor laufender Videokamera geköpft zu haben. Scheich Mohammed wurde in "Gitmo", wie das US-Gefangenenlager angelehnt an das militärische Kürzel "GTMO" genannt wird, mehrfach dem "Waterboarding" unterzogen. Das ist die inzwischen verbotene Verhörmethode der CIA, die den Befragten glauben lässt, ertrinken zu müssen.

Im November 2009 erklärte Justizminister Eric Holder, Scheich Mohammed und fünf weiteren Terroristen werde der Prozess vor einem zivilen Strafgericht gemacht. Nach Widerständen des Kongresses und der Stadt New York machte die Administration einen Rückzieher. Der Al-Qaida-Terrorist soll nun doch von einem Militärtribunal in Gitmo abgeurteilt werden. Ihm droht die Todesstrafe.

Mohammed al-Kahtani ist ein weiteres Beispiel für die harten Fälle in Gitmo. Der 32-jährige Saudi sollte offenkundig als 20. Flugzeugentführer an den Anschlägen vom 11. September teilnehmen. Die US-Behörden verweigerten ihm wegen seines One-Way-Tickets von Dubai nach Orlando/Florida und somit des Verdachts der illegalen Einwanderung im August 2001 die Einreise. Im Januar 2002 wurde al-Kahtani in Afghanistan festgenommen. Nach Erkenntnissen des Pentagons hatte al-Kahtani persönliche Kontakte zu Osama Bin Laden. Anwälte von al-Kahtani und der Bürgerrechtsorganisation "Center for Constitutional Rights" haben vor einem Distriktgericht in New York zum Zehnjahres-"Jubiläum" des Lagers eine Klage eingereicht. Sie wollen Videos veröffentlichen lassen, die zeigen, wie ihr Mandant Folterverhören unterzogen wurde.

Am 11. Januar 2002 waren die ersten 20 Gefangenen aus Afghanistan in Gitmo eingetroffen. Später kamen irakische Insassen hinzu. 779 Personen waren insgesamt in dem Lager interniert. Heute sitzen noch 171 ein. Sieben von ihnen soll der Prozess vor einem Militärtribunal gemacht werden. Bei weiteren 29 sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. 46 gelten als "zu gefährlich für eine Freilassung", aber zugleich als "nicht prozessfähig", Das bedeutet, dass Beweise gegen sie als geheimdienstliche Erkenntnisse oder Aussagen von Informanten gewonnen wurden, die man nicht einmal vor einem Militärtribunal öffentlich machen will. Diese Gefangenen haben keine Aussicht, Guantánamo je lebend zu verlassen. Das "Nationale Verteidigungsgesetz", von Obama am 31. Dezember 2011 unterzeichnet, bestätigt nicht nur die Macht des Präsidenten zu einer unbegrenzten Festsetzung ausländischer Terroristen. Es erlaubt der Regierung, US-Bürger einer solchen Behandlung zu unterwerfen. Obama versicherte, er werde das Gesetz keineswegs in diesem Sinne interpretieren.

Von den Entlassenen hat sich jeder Vierte wieder Terrororganisationen angeschlossen. Im Wahlkampf 2008 versprach Obama, das Lager zu schließen. Der Senat verweigerte mit Stimmen von Demokraten wie Republikanern Finanzmittel für die Überführung der Insassen in Bundesgefängnisse in den USA. "Um das klar zu sagen", sagte Obama im Januar 2010, "wir werden Guantánamo schließen, das unsere nationalen Sicherheitsinteressen beschädigt hat und ein wichtiges Rekrutierungs-Mittel für al-Qaida geworden ist."