Zehn Jahre Skandal-Lager Guantánamo. Die versprochene Schließung ist nicht in Sicht

Die malerische Bucht von Guantánamo auf der Karibikinsel Kuba ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder von verzweifelten Kubanern als Ausgangspunkt für eine Flucht in die USA benutzt worden. Eine Flucht nicht zuletzt vor den Menschenrechtsverletzungen des Castro-Regimes. Es mutet wie ein zynischer Treppenwitz der Geschichte an, dass diese Bucht nunmehr seit zehn Jahren Standort eines amerikanischen Internierungslagers ist, dessen Name längst zu einem Synonym für eklatante Menschenrechtsverletzungen geworden ist.

Die blutige Terrorattacke von al-Qaida auf zwei Herzmetropolen der USA im September 2001 - der einzige feindliche Überfall auf den US-Kontinent seit dem Unabhängigkeitskrieg bis 1783 - hatte Amerika bis ins Mark erschüttert und die Bush-Regierung zu teilweise weit überzogenen Abwehrmaßnahmen veranlasst. Dazu zählte auch die perfide Überlegung, Terror-Verdächtige nach Guantánamo zu verlegen, da auf diesem exterritorialen Militärstützpunkt das amerikanische Zivilrecht nicht greift. Das Einpferchen der Insassen in Drahtkäfige, ohne Anklage, faires Verfahren und Rechtsbeistand, das Foltern per simuliertem Ertrinken und weitere Schikanen stellten einen Bruch ausgerechnet jenes Wertekanons dar, den Amerika mit Inbrunst dem militanten Islam entgegenstellt. Erfunden wurde der Status des "feindlichen Kämpfers", auf den nicht einmal die Genfer Konventionen Anwendung finden sollten.

Gerade einmal sechs der insgesamt fast 780 Häftlinge, die in Ketten nach Guantánamo gelangten, wurden jemals rechtskräftig verurteilt. Vielen jener 171 Gefangenen, die dort bis heute einsitzen und von denen 80 sogar offiziell als ungefährlich eingestuft wurden, kann man irgendwelche Terrorakte gar nicht nachweisen.

Es zählte zum Kernprogramm des jungen Präsidenten Obama, dieses Skandal-Lager binnen eines Jahres zu schließen. Die Welt spendete dem Mann, der als Einziger einen Friedensnobelpreis auf Vorschuss erhielt, hoffnungsvollen Beifall. Die Tatsache, dass Obama erst kürzlich ein Gesetzespaket unterschreiben musste, das die Auflösung des Gefängnisses nahezu unmöglich macht, dass er gar der Aufnahme neuer Militärverfahren in "Gitmo" zustimmen musste, ist ein weiteres Indiz für die enorme Verunsicherung Amerikas im Angesicht der terroristischen Herausforderung. Die Freilassung dieser Häftlinge oder wenigstens die Gewährung von Zivilrechten gilt offenbar als gefährlicher als die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit. Das amerikanische System der "checks and balances", also die komplizierte Machtmechanik im Verhältnis zwischen Kongress und Präsident, ein historisch überaus bewährtes Instrument zur Verhinderung einer Tyrannei, führt in diesem Fall tragischerweise zu einer Teilerosion der westlichen Rechtskultur.

Barack Obama zieht die Kampftruppen aus dem Irak und aus Afghanistan ab - und führt doch weiterhin ein Land im Krieg: gegen den Terrorismus nämlich. Und der scheinbar mächtigste Mann der Welt wird dabei immer öfter zu einer Geisel seiner erzkonservativen politischen Gegner. Der liberale Präsident, ein Mann mit politischen Visionen und sozialen Programmen, muss sich im Kampf um die Wiederwahl der Herausforderung einiger Rivalen erwehren, deren Programm sich weitgehend in Frömmelei und Erzpatriotismus erschöpft.

Auf jene Regionen der islamischen Welt, in denen Millionen Menschen noch auf der Suche nach einer neuen politischen Orientierung sind, in denen das westliche Modell mit autoritärem Islamismus konkurrieren muss, wirkt Amerikas Slalom um die Säulen der Rechtsstaatlichkeit nicht eben anziehend.

Drei Jahre nach Obamas Yes-we-can-Aufbruch muss man leider feststellen: Es gilt das gebrochene Wort.