Im Rennen um das polnische Präsidentenamt liegt der liberale Bronislaw Komorowski vorn - ist aber noch nicht am Ziel

Hamburg/Warschau. Der stille und vorsichtige Wahlkampf hatte schon verraten, dass bei der Wahl des polnischen Staatsoberhauptes die Tragödie des Flugzeugabsturzes von Smolensk noch nachhallt. Der Tod des Präsidenten Lech Kaczynski ist gerade etwas mehr als zwei Monate her. Seine Frau und 95 weitere Angehörige der politischen Elite kamen dabei ums Leben. Und die Menschen des Landes stehen vor der nächsten Katastrophe. Jetzt, zehn Wochen später, hat das Hochwasser an Weichsel und Oder große Teile des Landes verwüstet.

Für Polen war es eine wegweisende Wahl - nicht nur aufgrund dieser beiden nationalen Ausnahmesituationen. Und glaubt man den Prognosen, dann will die Mehrheit der Polen diesen Weg mit dem Liberalkonservativen Bronislaw Komorowski als ihrem neuen Staatschef gehen. Erste Ergebnisse sahen den Parlamentspräsidenten zwischen 40,7 und 45,7 Prozent. Der nationalkonservative Herausforderer Jaroslaw Kaczynski erreichte danach zwischen 33,2 und 35,8 Prozent der Stimmen und kam auf den zweiten Platz. Die übrigen acht Kandidaten waren weit abgeschlagen. Doch obwohl Komorowski in Führung liegt, ist noch offen, wer künftig an der Spitze des Staates stehen wird. Denn weder er noch Jaroslaw Kaczynski, der Zwillingsbruder des verunglückten Präsidenten, erzielten die absolute Mehrheit. Die Polen entscheiden nun in einer Stichwahl am 4. Juli zwischen den Erstplatzierten.

Komorowski erklärte am Abend vor seinen jubelnden Anhängern in Warschau, er sei "glücklich und erfüllt", dass er das Vertrauen von Millionen Polen habe. Doch "im Leben wie im Fußball ist die Verlängerung am schwierigsten. Das dürfen wir nicht vergessen. Lasst uns all unsere Kräfte für das große Finale am 4. Juli mobilisieren", sagte er.

Die Stichwahl - sie ist auch ein Endspiel um die politische Zukunft des Landes. So hatte der liberalkonservative Regierungschef Donald Tusk nach seiner Stimmabgabe in Zoppot bei Danzig gesagt, entweder werde Polen wieder "in einem gespenstischen Konflikt erstarren", oder sein Lager werde das Land in den kommenden Jahren stark nach vorn bringen. Komorowski ist ein Vertrauter von Tusk. Und der zählt auf ihn. Denn mit Komorowski an der Staatsspitze würden die pro-europäischen Liberalkonservativen um Tusk die Zügel fest in der Hand halten. Anderenfalls, so Tusk, drohe Polen eine "politische Hölle". In seinen Worten klingt die Sorge vor einer anhaltenden Blockadepolitik gegen seine Regierung durch den Präsidenten mit. Der Machtkampf zwischen Tusks Regierung und dem nationalkonservativen Staatsoberhaupt Lech Kaczynski, der sein Veto immer wieder einsetzte, hatte in der Zeit vor dem Flugzeugunglück zu einem Reformstau geführt. Mit dem streitlustigen Bruder Jaroslaw als Präsident würde sich die Lage verschlimmern, sagte Tusk. Er und Komorowski sehen den Schwerpunkt polnischer Außenpolitik nicht in Amerika, sondern in der EU. Deutschland und Frankreich spielen eine Schlüsselrolle. Komorowski will in fünf Jahren den Euro einführen und die Reform von Wirtschaft und Arbeitsmarkt vorantreiben. Seine erste Reise als Staatschef, das hatte Komorowski schon angekündigt, werde ihn nach Brüssel, Paris und Berlin führen.

Jaroslaw Kaczynski ist der Gegenpol zu dieser Politik. 2006 bis 2007 führte er das Land schon als Ministerpräsident. Er steht wie sein verstorbener Bruder für das traditionelle, das konservative und katholische Polen. Seine Politik ist national - sie lebt von der Abgrenzung zu Europa und Deutschland einerseits und zu Russland andererseits. Vor seinen Anhängern gab sich Kaczynski am Abend siegessicher. "Den Schlüssel zum endgültigen Sieg ist unser Glaube, dass wir siegen können", sagte der 61 Jahre alte Oppositionsführer. "Wir müssen für das Vaterland siegen", sagte er. "Alles für Polen, weil Polen am wichtigsten ist", sagte Kaczynski zum Abschluss seines kurzen Auftritts.

Kaczynski gilt als Scharfmacher, der seine Gegner immer wieder als Landesverräter ausgrenzte. Doch im Wahlkampf um das Präsidentenamt wurden die scharfen Gegensätze der beiden Kontrahenten verwischt - in der Trauer um die Toten von Smolensk und im Kampf gegen die Flut. Auch Kaczynski hatte keine bösen Worte gegen Komorowski gewählt. "Beenden wir den polnisch-polnischen Krieg", appellierte er vor der Wahl. "Am wichtigsten ist Polen", war sein Motto. Vielleicht war es gerade dieser versöhnliche Ton, der ihn in den Umfragen vor der Wahl immer stärker gemacht hatte.