Viele ausländische Gäste mussten wegen Asche-Wolke absagen. Russlands Präsident Medwedew flog trotzdem zur Trauerfeier - was ihm von den Polen hoch angerechnet wurde.

Krakau. Hier stehen sie, die Menschen, in der Kosciuszko-Straße, und halten Rosen und Osterglocken in den Händen. Unten die Weichsel, vor dem strahlenden Himmel die Silhouette der Wawel-Burg. Die Menschen warten, manche schon seit dem Morgengrauen. Keine lauthals klagende Trauer, eher der stille Schmerz, wie in Polen üblich. Fast keine Fotos, keine Bildchen; der Verstorbene war ja kein Heiliger. Er war Präsident, er verkörperte den Staat. Er war im Dienst gewesen, unterwegs zu einem Ort schmerzhaften Gedenkens, nach Katyn in Russland, wo die Sowjetmacht 1940 Tausende polnischer Kriegsgefangener ermordete. Dort fand der Hohepriester des nationalen Gedächtnisses den Tod.

Kaczynski verkörperte den Staat, und so tragen die Menschen vor allem Fahnen in den Händen, die Nationalfarben Weiß und Rot, oft mit Trauerflor versehen. Da tauchen die Wagen des Trauerzugs auf, von Polizei eskortiert. Die Menschen werfen ihre Blumen. Die eine oder andere Frau wischt sich eine Träne aus dem Auge. Als der Leichenwagen vorüber ist, brandet, langsam, verhalten, Beifall auf. In diesem Land ein ungewohntes Ritual. Die Polen haben es sich offenbar abgeguckt: von den Italienern, die die Nachricht vom Tod Johannes Pauls II. mit donnerndem Beifall beantworteten, einer Geste des Respekts vor dem Toten.

Derweil herrscht auf dem Krakauer Flughafen große Nervosität. Die Trauerfeier für das polnische Präsidentenpaar hatte zum größten "Gipfeltreffen" in der Stadt seit 1364 werden sollen, hatten die Stadtväter gehofft und manche Bürger befürchtet. Damals hatte König Kasimir der Große europäische Monarchen zu einem Festmahl nach Krakau geladen, das über viele Jahrhunderte die Hauptstadt Polens war. Doch nach dem Nebel über Russland, in dem Kaczynskis Flugzeug abgestürzt war, griff abermals die Natur in den Flugverkehr ein, der Vulkanstaub über Europa. Viele der fest erwarteten 80 Staatsgäste mussten in den letzten Stunden absagen, darunter Obama, Sarkozy, Berlusconi, Merkel. Umso größer Anerkennung und Beifall der Krakauer, als der russische Präsident Dmitri Medwedew vor der Marienkirche aus seiner Limousine stieg und sogleich eine Kerze entzündete. Bundespräsident Köhler und Außenminister Westerwelle kamen mit Hubschraubern, weitere Präsidenten auf dem Landweg.

Als die zwei Särge vor der Marienkirche eintreffen, begrüßt sie der Krakauer Erzbischof Dziwisz, der engste Vertraute des aus Krakau stammenden früheren Papstes: Er beugt sich zu ihnen nieder und küsst sie. Danach die Trauermesse. Parlamentspräsident Komorowski, jetzt der oberste Repräsentant des Staates, spricht über Wahrheit und Aussöhnung mit dem Nachbarn Russland. "Das Testament des Lech Kaczynski muss gut erfüllt werden: durch Annäherung und Versöhnung." Und über die Erschütterung in Polen angesichts der Katastrophe: "Die Tragödie beseitigt nicht, was uns trennt. Aber sie holt ans Tageslicht, was übergeordnet ist."

Als die Särge die Kirche verlassen, skandiert die nach Zehntausenden zählende Menge auf dem Marktplatz: "Lech Kaczynski, wir danken dir!" Es sind vor allem seine Anhänger, die den höchst umstrittenen Politiker hier verabschieden. Aber wenn ein Wort aus diesen Tagen in Erinnerung bleibt, dann ist es der in vielen Variationen gehörte Satz, den vor allem junge Polen sagten, wenn sie eine Kerze anzündeten oder Blumen niederlegten: "Ich habe ihn nicht gewählt, aber ich verneige mich vor ihm." In den fünf Tagen, die der Sarg in Warschau aufgebahrt war, sind 180 000 Menschen aus dem ganzen Land gekommen, um nach langem Schlangestehen noch einen Blick auf die beiden Särge werfen oder dort ein Gebet sprechen zu können. Am Sonnabend war mit einer ergreifenden Trauerfeier in der Hauptstadt aller 96 Opfer der Flugzeugkatastrophe von Smolensk gedacht worden. Um 8.56 Uhr, dem Zeitpunkt des Flugzeugabsturzes eine Woche zuvor, läuteten im ganzen Land die Kirchenglocken, die Sirenen heulten.

Letzte Station: die Wawel-Burg. Hier wird er ruhen, Lech Kaczynski mit seiner Frau Maria, in einem gemeinsamen breiten Sarkophag aus Alabaster. Im Vorraum der Krypta, in der Marschall Josef Pilsudski ruht, dessen Beisetzung hier im Jahre 1935 nicht weniger umstritten war als das jetzige Begräbnis. In Nachbarschaft der Könige, manche ebenfalls in den Krypten, andere oben im Kirchenschiff wie Kasimir der Große. "Stille über diesem Sarg", lautet die Redewendung, wenn in Polen ein Streit beendet werden soll. Der Rest ist Aufgabe der Historiker.