Übergangsregierung versucht Ordnung zu schaffen. Der gestürzte Präsident Bakijew hält seinen Herrschaftsanspruch aufrecht und droht aus dem Süden des Landes mit Rückkehr.

Moskau. Bischkek am Tag nach dem Sturz von Präsident Kurmanbek Bakijew. Auf dem Platz vor dem Regierungsgebäude stehen Hunderte Demonstranten und warten. "Es sind Leute aus Bischkek, aber auch Zugereiste", berichtete Nurbek, ein kirgisischer Journalist. Aus dem Fenster seines Büros, so sagt er, könne er den Platz gut überblicken. "Die Menschen sind friedlich. Hin und wieder kommt ein Vertreter der Opposition heraus und berichtet über die Lage, über getroffene Maßnahmen. "

Nurbek sagte Opposition, meinte aber die provisorische Regierung, die nach dem blutigen Aufruhr in der kirgisischen Hauptstadt und in weiteren Städten des Landes die Macht im Lande übernommen hat. Das Parlament wurde aufgelöst. Rosa Otunbajewa ist die Chefin der Übergangsregierung.

Präsident Bakijew war in der Nacht zum Donnerstag vor den plündernden und marodierenden Massen aus der Hauptstadt geflohen. In den Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Verteidigern der Staatsmacht waren 75 Menschen getötet worden. Bakijew soll sich im Süden des Landes aufhalten, wo er in der Stadt Dschalalabad geboren wurde. Per E-Mail, so berichtete Interfax, erinnerte Bakijew daran, dass er "Garant der Verfassung" sei. Er drohte den Machthabern in Bischkek, sie hätten die Verantwortung für eine weitere Destabilisierung zu tragen und würden "mit der ganzen Strenge des Gesetzes" bestraft werden. In Bischkek geht die Sorge um, Bakijew könnte seine Anhänger im Süden sammeln, gegen die Hauptstadt vorrücken und einen Bürgerkrieg anzetteln. Was allerdings eher unwahrscheinlich ist. Denn nach der Befreiung des von Bakijew eingesperrten Ex-Verteidigungsministers Ismail Issakow aus dem Gefängnis gingen Armee, Polizei und Sicherheitskräfte auf die Seite der neuen Machthaber über.

Es war der berühmte Funke, der den überhitzten kirgisischen Kessel zur Explosion brachte. Die Bakijew-Regierung hatte zu Jahresbeginn die Strompreise verdoppelt, dann für Juli eine weitere Verdoppelung angekündigt. "Das Leben war in letzter Zeit auch ohne das schon fast unmöglich geworden, die Arbeitslosigkeit war hoch, die Preise stiegen", klagte Nasi. Die 23-Jährige ist Besitzerin eines bescheidenen Ladens in der kleinen Stadt Karabalta etwa 60 Kilometer von der kirgisischen Hauptstadt Bischkek entfernt.

Als die Menschen in der Stadt von der neuerlichen Strompreiserhöhung erfuhren, seien sie vor Wut auf die Straße gegangen, erzählte sie, "meine Freunde waren auch auf den Meetings". Ähnliches geschah auch in anderen Städten. Die anfangs friedlichen Demonstrationen schlugen nachts schnell in Plünderungsorgien um, die schließlich auf die Hauptstadt übergriffen. Das Szenarium der sogenannten Tulpen-Revolution von vor fünf Jahren, die auch nichts anderes als eine Revolte war, wiederholte sich, nur waren die Folgen blutiger. Der Zorn der von der Führung des Landes enttäuschten Massen entlud sich am Mittwoch und in der Nacht zum Donnerstag. In einem Wutanfall tobte die völlig unkontrollierbar gewordene Menge durch die Straßen Bischkeks. Sicherheitskräfte schossen in die Menge. Die überrannte die Polizei, Regierungsgebäude brannten.

Damit erlebte das bettelarme Kirgistan, aus dem der erste Präsident des Landes, der Atomphysiker Askar Akajew, "die Schweiz Asiens" machen wollte, innerhalb von fünf Jahren den zweiten gewaltsamen Umsturz. Bakijew, der Akajew im Frühjahr 2005 vertrieben hatte, hatte seinen Kredit, den er bei der Bevölkerung genoss, innerhalb kurzer Zeit verspielt. "Das Leben unter Bakijew wurde immer schwerer", schilderte Nurbek die Situation. "Die Erhöhung der Strompreise und der Mieten war lediglich der Auslöser für den Aufstand, die Menschen waren zuvor schon tief unzufrieden. Da wurden wichtige Industrieunternehmen zu Schleuderpreisen verscherbelt, bei der Privatisierung des Eigentums wurden Familienmitglieder und Verwandte ganz offen bedient. Die Meinungsfreiheit wurde unterdrückt."

Die neue Herrschaftsriege, die den massenhaften Unmut ihrer Landsleute zu nutzen wusste, möglicherweise auch selbst geschürt hat, ist zumindest für die Kirgisen kein unbeschriebenes Blatt. Der starke Mann ist sicher Ismail Issakow, der ehemalige Verteidigungsminister, der das Militär und die Sicherheitsorgane hinter sich hat. Dennoch wurde zunächst Rosa Otunbajewa Chefin des Übergangskabinetts. Sie war schon unter Akajew in den Neunzigerjahren Außenministerin. Nach dem Sturz Akajews galt sie neben Bakijew, der wiederum bei Akajew zeitweilig Premierminister war, als eine mögliche Kandidatin für das Präsidentenamt. Sie musste dann aber erneut mit dem Außenministerium vorliebnehmen.

Sie bewies ihren Sinn für Realität, indem sie nur Stunden nach der Inthronisierung der Übergangsregierung mit dem russischen Premier Wladimir Putin telefonierte. Moskau unterhält in Kirgistan den Luftwaffenstützpunkt Kant. Der gewieften Außenpolitikerin Otunbajewa ist klar, dass ihr Kabinett nur mit, nicht gegen Russland eine Chance hat. Putin sagte ihr zunächst humanitäre Hilfe zu. Interessiert beobachtende dritte Kraft sind die USA. Sie brauchen den Luftwaffenstützpunkt Manas dringend für die Absicherung ihres Nachschubs nach Afghanistan und sind deshalb dringend an Ruhe und Stabilität in Kirgistan interessiert.