Revolutionsführer erklärt der Schweiz den “Heiligen Krieg“. Eine Invasion muss Europa aber nicht fürchten.

Hamburg. Nichts überlässt der selbst ernannte Revolutionsführer Libyens bei dem Streben nach Macht dem Zufall. Schon gar nicht die Namen seiner Söhne. Denn kaum etwas sichert Muammar al-Gaddafis Diktatur mehr als die Erbfolge. Sein ältester Sohn ist - selbstverständlich - benannt nach dem Propheten Muhammad. Der zweite Sohn heißt Saif al-Islam, das Schwert des Islam. Den fünftälteste Sohn seiner acht Kinder nannte Gaddafi Hannibal - nach einem der größten Feldherren der Antike, der mit Zehntausenden Soldaten und mehr als 30 Elefanten über die Alpen zog und dem Römischen Reich mehrere militärische Schläge versetzte. Dass Gaddafi seinen Sohn Hannibal nannte, ist ein politisches Zeichen. Gegen die lateinisch geprägte Kultur. Gegen den Westen. Sohn Hannibal ist auch der Anlass, weshalb der 67 Jahre alte Gaddafi die Schweiz am liebsten von der Landkarte tilgen möchte. Jetzt rief er sogar zum Heiligen Krieg (Dschihad) gegen die Eidgenossen auf. "Jeder Muslim in der Welt, der mit der Schweiz zusammenarbeitet, ist ein Abtrünniger und gegen (den Propheten) Mohammed, Gott und den Koran", sagte Gaddafi in Benghasi bei einer Versammlung zu einem religiösen Feiertag, an der auch Gesandte anderer muslimischer Länder teilnahmen.

Im Sommer 2008 war Hannibal in Genf unter dem Verdacht der Misshandlung von Hausangestellten vorübergehend festgenommen worden. Wütend forderte Gaddafi, die Schweiz solle öffentlich erklären, sein Sohn sei völlig unschuldig. Die Verhaftung war ein Angriff auf die Ehre seines Beduinen-Stammes. "Der Streit zwischen Gaddafi und der Schweiz wurde zu einem nationalen Anliegen aller Libyer - sie alle sehen sich mit Gaddafi verbunden", sagt Hanspeter Mattes, stellvertretender Direktor am Hamburger GIGA-Institut für Nahost-Studien.

Was mit der Inhaftierung begann, ist längst zur "Hannibal-Affäre" ausgewachsen. Zwei Schweizer Geschäftsleute ließ Gaddafi daraufhin in Libyen verhaften - wegen angeblicher Visa- und Steuervergehen. Erst einer der beiden ist inzwischen wieder auf freiem Fuß. Die Schweiz wiederum hatte für 188 hochrangige Libyer ein Einreiseverbot verhängt - das damit für den ganzen Schengen-Raum galt. Jetzt nennt Gaddafi die Schweizer "ungläubig" und "abtrünnig". Die hatten sich nämlich im November bei einer Volksabstimmung dafür ausgesprochen, den Neubau von Minaretten zu verbieten.

Muammar al-Gaddafi, das Chamäleon: Mal mimt er den väterlichen afrikanischen Herrscher, zeigt sich in schmucker Uniform und lädt Europas Staatschefs in sein Land. 2009 trifft Gaddafi sogar US-Präsident Obama beim Gipfel der G8-Staaten. Dann wieder ist er der sture Diktator, propagiert Selbstbestimmung des libyschen Volkes und unterdrückt dabei jedes Streben nach Demokratie. Und jetzt spielt Gaddafi die Rolle des religiösen Kämpfers für den Islam.

Der Aufruf zum "Dschihad" gegen die Schweiz ist trotzdem nicht wörtlich zu nehmen. Die Schweizer Armee wird sich nicht auf die Abwehr libyscher Fallschirmjäger im Berner Oberland vorbereiten müssen. "Gaddafis Botschaft an die Welt ist: Niemand fasst ungestraft meine Familie an oder mein Regime", sagte Hasni Abidi, einer der bekanntesten Libyen-Experten vom Genfer Zentrum für Studien und Forschung in der arabischen Welt (CERMAM), dem Abendblatt. Mit seiner militärischen Stärke sichere er seine Macht in Libyen. "Er ist aber nicht in der Lage, andere Staaten anzugreifen", so Abidi.

Entsprechend gelassen reagierten die Politiker in der Schweiz auf den Aufruf zum "Dschihad". Die Präsidentin des Außenausschusses im Berner Parlament, Christa Markwalder, sprach sich in der Zeitung "Der Bund" dafür aus, nicht auf die Äußerungen zu reagieren.

Gaddafis heiliger Krieg werde kaum Gehör bei Islamisten wie al-Qaida finden. "Der Revolutionsführer ist in den Augen von al-Qaida keine religiöse Figur", sagt Abidi.

Doch ein müdes Lächeln über Gaddafi ist die falsche Diplomatie für den Staatschef eines erdölreichen Landes. In Afrika, Südamerika und Asien genießt der geborene Beduine hohes Ansehen. Im März findet in Tripolis der Gipfel der Arabischen Liga statt.

Und für Europa geht es in der "Hannibal-Affäre" um handfeste Interessen. Vor allem die südeuropäischen Länder wünschen sich enge Zusammenarbeit mit dem nordafrikanischen Staat, um den Menschenschmuggel nach Europa einzudämmen. Doch wer al-Gaddafi in seiner Ehre kränkt, kann wenig Diplomatie erwarten. Stattdessen weitere Drohungen.