Auch Kanada will nun seine Soldaten aus Afghanistan zurückholen. Der Einsatz wird somit zum Test für den Bestand der Allianz.

Hamburg/Kabul. Pessimisten in der westlichen Allianz befürchten bezüglich des Krieges in Afghanistan einen Domino-Effekt. Der Begriff lehnt sich an die "Domino-Theorie" des Kalten Krieges an, die besagte, wenn ein Land in kommunistische Hände geriete, könnten aufgrund des ideologischen und politisch-militärischen Drucks auch bald die Nachbarstaaten fallen - wie die Steine des gleichnamigen Spiels.

Der afghanische Domino-Effekt geht so: Ein Land der Nato zieht seine Truppen zurück, andere halten dem verstärkten Druck der Aufständischen nicht stand und ziehen ab oder folgen gleich dem Beispiel des Partners und gehen auch. Die schutzlose Region fällt am Ende in die Hände der Taliban.

Für die Anhänger dieser Domino-Theorie ist der Zusammenbruch der niederländischen Koalition Wasser auf die Mühlen. Denn die 1950 niederländischen Soldaten werden wohl ab August den Hindukusch verlassen. Militärisch und bündnispolitisch hat dies erhebliche Konsequenzen - die Niederländer haben zusammen mit 1000 Australiern bislang die zentralafghanische Provinz Urusgan stabilisiert.

Die australische Regierung im fernen Canberra schlägt nun Alarm: Wenn die Niederländer gingen, sei die Provinz ohne Ersatz nicht zu halten. Australien teilte der Nato und den USA mit, dass man nicht bereit sei, die Niederländer zu ersetzen oder eine Führungsrolle in Urusgan zu übernehmen. Vermutlich werden nun US-Truppen in Urusgan einrücken müssen - was bedeutet, dass sie aus anderen Bereichen abgezogen werden müssen, für die sie eingeplant waren.

Der Gouverneur von Urusgan, Asadullah Hamdam, sagte der britischen BBC, die Niederländer hätten eine Schlüsselrolle bei Wiederaufbau, Sicherung der Provinz und der Ausbildung von Polizisten gespielt. Wenn sie gingen, blieben viele Projekte unvollendet. Hamdam sprach von einem "großen Vakuum".

Ein Vakuum wird sich auch noch an anderer Stelle in der Nato-Strategie auftun, wenn die rund 2800 kanadischen Soldaten Ende nächsten Jahres Afghanistan verlassen. Wie in anderen Nato-Staaten auch ist der Druck der öffentlichen Meinung in Kanada gegen den Einsatz enorm.

Die Kanadier sind verständlicherweise kriegsmüde. Sie kämpfen - wie auch Niederländer und Australier - seit Jahren an vorderster Front. Im Verhältnis zu ihrer Truppenstärke von 2800 Mann haben die Kanadier mit 140 Gefallenen den höchsten Blutzoll aller Nato-Truppen im Afghanistan-Einsatz zu verzeichnen. Die Deutschen zum Beispiel haben bei 4500 Soldaten 36 Tote zu beklagen. Für die USA ist das Wegbrechen dieser Alliierten daher fatal: Diese drei Staaten haben die amerikanischen Truppen aktiv kämpfend unterstützt. Ersatz gibt es wenig - Frankreich zum Beispiel wird keinen zusätzlichen Soldaten entsenden.

Die Aghanistan-Mission ist als Test für den Bestand der Allianz gewertet worden. Angesichts des Abzugs von immer mehr Verbündeten wird die Befürchtung geäußert, die wegbrechende Solidarität mit den USA könne die Nato letztlich zerreißen.

Der Oberbefehlshaber in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal, hat den Schutz der Zivilisten zu einem Schlüsselelement seiner Strategie gemacht, um die Sympathie der Afghanen wiederzugewinnen.. Doch die laufende atlantisch-afghanische Offensive "Muschtarak" (gemeinsam) gegen die Taliban-Hochburg Mardscha leidet an verheerenden Fehlleistungen.

Nato-Kampfflugzeuge bombardierten in der südafghanischen Provinz Dai Kundi jetzt versehentlich einen Konvoi mit drei Kleinbussen voller Flüchtlinge. Mindestens 27 Menschen starben, darunter vier Frauen und ein Kind. McChrystal äußerte "Leid und Bedauern", doch die afghanische Regierung verurteilte den "unverantwortlichen Luftangriff" in "schärfster Form".

Gleich nach Beginn der Operation "Muschtarak" am 12. Februar hatten Nato-Bomben bereits zwölf Zivilisten getötet, am Tag darauf noch einmal fünf und wenig später noch einmal vier Unbeteiligte. Diese Vorfälle überschatten die militärischen Fortschritte im Kampf gegen die auf bis zu 36 000 Kämpfer geschätzten Aufständischen.