Im Interview spricht Pakistans Außenminister Shah Mahmood Qureshi über die Probleme bei der Stabilisierung Afghanistans.

London. Frage: Pakistan hat US-Verteidigungsminister Robert Gates bei seinem Besuch vergangene Woche wissen lassen, dass es in den nächsten sechs Monaten keine zusätzlichen Offensiven gegen Aufständische im Grenzgebiet zu Afghanistan durchführen wird. Das klingt in den Ohren der Amerikaner nicht gerade hilfreich.

Shah Mahmood Qureshi: Pakistan verweigert seine Hilfe nicht. Wir sind nur Realisten. Sie müssen verstehen, dass wir aus guten Gründen zusammen in diesem Kampf sind, dass wir gemeinsame Ziele haben. Wir wollen wie der Westen die Extremisten und Terroristen in Pakistan und Afghanistan besiegen. Aber wir dürfen unsere Ressourcen nicht aus den Augen verlieren. Die Operationen, die unsere Armee und unsere paramilitärischen Truppen zuletzt ausgeführt haben, sind - und das erkennt die Welt an - viel effektiver gewesen als Operationen in Afghanistan.

Frage: Warum?

Qureshi: Weil sie besser geplant waren; wir haben unsere Truppen nicht zu weitläufig stationiert. Und wir haben die richtige Strategie angewendet: aufklären und dann halten. Ganz anders als in Afghanistan, wo die Nato-Truppen zwar aufgeklärt, aber die Stellungen nicht gehalten haben, mit dem Ergebnis, dass die Aufständischen kurz darauf wieder zurück waren. Wir aber halten an unserer Präsenz in der Region fest, bauen zivile und wirtschaftliche Strukturen auf. Heute sind die Probleme in Afghanistan, dass es nicht genug Aufmerksamkeit für die Polizeiarbeit und eine funktionierende Administration gibt. Eines ist klar: Der Westen schenkt unserer größten Sorge nicht genug Aufmerksamkeit. Wir haben 140 000 Soldaten an unserer Westgrenze stehen. Aber diese Grenze war für uns nie ein Problem, vielmehr ist das unsere Ostgrenze zu Indien. Dort aber haben wir nun nicht mehr die Stabilität, die wir brauchen.

Frage: Im Vorfeld der London-Konferenz haben mehrere Isaf-Staaten, unter ihnen die USA und Deutschland, Daten für den Beginn eines Abzugs genannt. Ist das ein strategischer Fehler?

Qureshi: Wir in der Region erkennen an, dass die Isaf-Truppen eines Tages gehen müssen. Die Frage ist wann - und wie. Einen Bürgerkrieg hinter sich lassend? Oder aber mit einer richtigen Exit-Strategie? Als die Sowjets abzogen, verließ auch der Westen Afghanistan in aller Eile, ließ es allein. Anarchie, Krieg waren die Folge. Es half nur Elementen wie den Taliban. Isaf will nun, dass die Verantwortung an die Afghanen geht - wenn sie so weit sind. Aber wir dürfen dabei die Realität nicht aus den Augen verlieren. Vor Juli 2011 (dem von US-Präsident Obama angepeilten Abzug, d. Red.) muss es eine ehrliche Lageanalyse geben.

Frage: Sind Sie optimistisch, dass zumindest ein Teil der Übergabe in eineinhalb Jahren gelingt?

Qureshi: Das ist eine riesige Aufgabe. Das wird schwierig. In acht Jahren konnten nicht genug Truppen aufgebaut werden. Wie soll man das plötzlich in einem einzigen Jahr schaffen?

Frage: Wie schwer lastet der überschwappende Konflikt aus Afghanistan auf Pakistan?

Qureshi: Wir zahlen einen enormen Preis. In menschlichen wie ökonomischen Kategorien. Alle Koalitionstruppen zusammen haben nicht so viele Soldaten in diesem Konflikt verloren wie wir. Abgesehen von all den unschuldigen Opfern, keine einzige pakistanische Großstadt ist von Anschlägen verschont geblieben. Potenzielle Investoren kommen nicht mehr. Obendrein: Der Westen hat nicht in ausreichender die positive Rolle Pakistans in diesem Konflikt anerkannt.

Frage: Sollte also die Stabilisierung Pakistans für den Westen Vorrang haben, und nicht die Fokussierung auf ein paar Tausend Taliban?

Qureshi: Pakistan besitzt ein funktionierendes Staatswesen, eine professionelle Armee, eine Polizei, unabhängige Medien, Justiz. Wir haben viele eigene Ressourcen. Ohne internationale Hilfe kann der afghanische Staat hingegen nicht auskommen. Wenn nur ein Teil dieser Gelder an Pakistan ginge, wären die Ergebnisse viel offensichtlicher. Wir wollen Hilfe bei der Stabilisierung unserer Wirtschaft. Damit wir die Armut beseitigen können und damit die Wurzeln der Radikalisierung.

Frage: London setzt darauf, Afghanistan durch eine koordiniertere Politik auf den richtigen Weg zu bringen. Fehlte die Koordination bisher?

Qureshi: Die internationale Gemeinschaft hat das lokale Umfeld nie richtig verstanden. Viele unserer heutigen Probleme gründen sich auf fehlendes kulturelles Verständnis. Und das macht der Regierung Karsai mitunter enorme Schwierigkeiten. Auch sind in gewissen Bereichen nicht genug Anstrengungen unternommen worden, etwa bei der Versorgung der Aufständischen mit Waffen. Wo kommen die her? Offensichtlich gibt es ja nach wie vor genug.

Frage: Wird Pakistan Gespräche mit den moderaten Taliban unterstützen?

Qureshi: Pakistan ist mehr als jedes andere Land in der Lage, die afghanische Reintegration und Versöhnung zu unterstützen. Warum? Weil wir dieselbe Sprache sprechen, gemeinsame Stämme und Religion haben, eine gemeinsame Geschichte. Aber es hängt davon ab, ob wir gefragt werden von Kabul. Wir haben schon in der Vergangenheit geholfen, Loja Jirgas (Stammesversammlungen, d. Red.) aufzustellen.