Das Land soll wieder Exportweltmeister werden. Auch die Gesundheitsreform ist noch nicht verloren gegeben.

Washington. Die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Stabilisierung der nur schwach erholten Wirtschaft werden die ersten Prioritäten von US-Präsident Barack Obama in seinem zweiten Amtsjahr sein. Zwar sei der "schlimmste Sturm abgezogen", sagte er, "doch die Verwüstung ist geblieben", und er verstehe die Ängste der Menschen, die er jeden Abend in ihren Briefen lese. Gerade Briefe von Kindern, die fragten, warum sie aus ihrem Heim ausziehen müssten, nähmen ihn mit. Mit dieser sich betont in die Nöte der Bürger einfühlenden Botschaft hat Barack Obama in Washington seine "Rede zur Lage der Nation" vor beiden Kammern des US-Kongresses eröffnet. Trotz aller Härten sei der Zustand der Union "stark", doch verstehe er viel Zweifel und Zynismus unter den Bürgern, die das Gezänk und die Lähmung im Kongress satthätten: "Es wird Zeit, dass die Amerikaner eine Regierung bekommen, die ihrer Anständigkeit entspricht."

Nur eine Woche nach einer für die Demokraten und den Präsidenten desaströse Niederlage in einer Senatswahl in Massachusetts und von stürzenden Umfragewerten beschwert, räumte Obama eigene Fehler und Rückschläge ein. Etwa Fehler bei der Werbung für die seit neun Monaten im Streit der Parteien gestrandete Gesundheitsreform: "Ich übernehme meinen Anteil der Verantwortung daran, dies den Menschen nicht klarer erklärt zu haben." Doch habe er, sagte Obama unter dem Gelächter auch der oppositionellen Republikaner, sich das Thema Krankenkassenrefom nicht ausgesucht, weil es sich politisch gut mache. Er werde nach einem Jahrhundert, in dem alle Präsidenten und Kongresse an der Aufgabe scheiterten, nicht aufgeben, "da wir dem Erfolg so nahegekommen sind".

Der Ton der etwa 70 Minuten langen Rede Obamas wechselte zwischen Wahlkampfaggressivität und Konzilianz in Appellen an das überparteiliche Gute im Kongress. Der Präsident stellte klar, dass sich alle Reformvorhaben fortan dem Diktat zu unterwerfen haben, das zehn Prozent Arbeitslosigkeit mit sich bringt. Es wurde unter Beobachtern bemerkt, dass Obama nicht mehr von "Gesundheitsreform" sprach, sondern, bescheidener, den Begriff "Krankenkassenreform" verwandte. In Washington wird die inzwischen im Volk wie bei den Demokraten selbst unpopuläre Reform für so gut wie tot erklärt. Es hatte eher symbolische Bedeutung, als er versprach, er werde die Menschen nicht im Stich lassen, die unter dem Fehlen einer Sicherung ihrer Gesundheit litten. "Ich gebe nicht auf."

Dennoch erhoben sich die Demokraten mehr als 80-mal zum Applaus, es gab keine Buhrufe der Republikaner. Nicht einmal, als Obama daran erinnerte, dass er einen großen Teil des Haushaltsdefizits vorgefunden habe, "verursacht durch zwei unbezahlte Kriege und zwei unbezahlte Steuersenkungen". Offene Ablehnung sah der Präsident hingegen bei dem konservativen Obersten Bundesrichter Samuel Alito. Als der Präsident ein neues Urteil des Supreme Court als gefährlich kritisierte, das Parteispenden durch Unternehmen und Firmen gleichstellt, schüttelte Alito heftig den Kopf und sagte "Das ist nicht wahr." Mit versteinerten Mienen nahmen ranghohe Militärs Obamas Ankündigung auf, künftig bekennende Schwule in den Streitkräften dienen zu lassen.

Im Grunde sind Klientelgefallen dieser Art Luxus geworden. Jobs, Jobs, Jobs definieren Barack Obamas Pläne fortan. Zwei Millionen Arbeitsplätze sollen in den nächsten fünf Jahren durch eine Exportinitiative entstehen. Länder "wie China, wie Deutschland" warteten nicht, sondern investierten in Umwelttechnik und andere Technologien: "Ich akzeptiere nicht, dass Amerika nur den zweiten Platz erreicht." Dazu müssten die USA in Solarenergie, Windkraft, Biotreibstoff investieren. Aber auch, erklärte der Präsident zum Entsetzen seiner Parteilinken, in eine neue Generation "sauberer, sicherer Atomkraftwerke".

Obama war angetreten, seine angeschlagene Glaubwürdigkeit zu reparieren und Führungsstärke zurückzugewinnen. Er verstehe Amerikaner, "die nicht mehr sicher sind, ob sie hoffen können und ob ich es schaffen kann". Doch habe er nie behauptet, Wandel werde leicht oder immer angenehm sein.