Hamburg. "Die Phase des Rettens ist jetzt fast abgeschlossen, jetzt muss die Versorgung der Menschen und vor allem der Wiederaufbau in den Mittelpunkt rücken", sagt Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon. Im März soll es eine Geberkonferenz für Haiti geben, Montag ist ein Vorbereitungstreffen im kanadischen Montreal angesetzt. Der Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, fordert einen Marshallplan für Haiti - nach dem Vorbild des Wiederaufbauprogramms für das Nachkriegs-Deutschland. Es geht um die Frage, wie man einen völlig zerstörten Staat wieder aufbaut.

Sicherheit

"Wir müssen für Sicherheit und Stabilität sorgen", sagt Ban Ki-moon. Die Polizei in Haiti kann die Plünderungen und Bandenkriege nicht verhindern. 9000 Uno-Soldaten waren bislang in Haiti. Nach dem Erdbeben schicken die Amerikaner zusätzliche Soldaten ins Katastrophengebiet: 16 000 amerikanische Soldaten sind jetzt vor Ort. Doch um das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit ihres Landes wiederherzustellen, benötigt es nach Meinung von Experten weitaus mehr Kräfte: Einem Bericht des US-Forschungszentrums "Research and Development" zufolge sind bis zu 20 Soldaten pro 1000 Einwohner notwendig. Übertragen auf die drei Millionen Menschen in Haiti, die von den Erdbeben betroffen sind, wären das 60 000 Soldaten.

Notunterkünfte

Als erster Schritt müsse ein Gemeindezentrum und ein Büro für den Wiederaufbau eingerichtet werden, fordert der Gründer der Hilfsorganisation Architecture for Humanity, Cameron Sinclair. Das dauere sechs Wochen bis drei Monate. Der Bau von Notunterkünften und zusätzlichen Krankenhäusern dauere sechs Monate bis zwei Jahre. Bis alle Haitianer, die ihr Haus durch das Erdbeben verloren haben, eine dauerhafte Unterkunft haben, würden bis zu fünf Jahre vergehen. Wichtig sei es, direkt in die Gemeindezentren zu investieren, damit die Hilfe von den Haitianern selbst organisiert wird.

Staatsaufbau

"Wiederaufbau und Staatsaufbau müssen gekoppelt sein", fordert Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Maihold zufolge brauche Haiti eine handlungsfähige Regierung und eine funktionierende Verwaltung. "Haiti hat kein funktionierendes Parteiensystem. Politische Unzufriedenheit schlägt sofort in Gewalt um", sagt der Politikprofessor. Verwaltungsbeamte in den Gemeinden müssten von der internationalen Gemeinschaft geschult werden. "Die Bürger von Haiti müssen an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden", sagt Eberhard Seiler von der Welthungerhilfe. Die Förderung von Parteien und die Begleitung demokratischer Wahlen durch die internationale Gemeinschaft seien dafür Voraussetzung.

Vor allem das Bildungssystem spielt eine zentrale Rolle: "Abgesehen vom Recht der Kinder auf Bildung ist das ein nicht zu unterschätzender Faktor beim Wiederaufbau", meint Cameron Sinclair. Wenn es keinen Ort gebe, an dem die Kinder tagsüber untergebracht sind, können die Eltern nicht arbeiten, "und die Wirtschaft wird sich nie stabilisieren". Seiler zufolge bedeutet Bildung die Aussicht auf einen Job und die Teilhabe an der Demokratie.

Wirtschaftshilfe

"Wir müssen vor allem die Wirtschaft in Haiti wieder aufrichten", sagt Ban Ki-moon. Die Weltbank erwägt, Haiti Schulden zu erlassen, der IWF verzichtet beim geplanten Hilfskredit von 100 Millionen Dollar vorerst auf Zinsen. Ein erstes Wirtschaftsprogramm der Uno gibt es schon: "Cash for Work". Haitianer, die Trümmer räumen oder Straßen ausbessern, bekommen fünf Dollar am Tag. Das ist zwar viel Geld für ein Land, in dem 80 Prozent der Bevölkerung von weniger als zwei Dollar am Tag leben müssen. Doch die Wirtschaft wird so sicher nicht wiederbelebt.

Haitis Wirtschaft liegt danieder, die Landwirtschaft wurde durch den Raubbau an der Natur völlig zerstört. Die Welthungerhilfe fordert deshalb Investitionen in die Landwirtschaft, damit sich die Bevölkerung selbst versorgen kann. Ein weiteres Problem ergibt sich dadurch, dass es kaum große internationale Firmen im Land gibt, die investieren. Experten sehen die wirtschaftliche Chance des armen Landes im Tourismus: Die Infrastruktur könnte so ausgebaut werden, dass Haiti wieder zum Urlaubsziel wird.