Eine Milliarde Migranten helfen, die Armut zu senken. Angst vor Jobverlusten in Zielländern ist unbegründet.

Hamburg. Immer mehr Fachkräftemangel, schrumpfende und alternde Bevölkerungen - eine neue Studie der Uno warnt, dass Europa ohne bedeutende Zuwanderung nicht zukunftsfähig sei. Darum fordert das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) die Nationalstaaten zu einer gezielten Migrationspolitik auf. Dabei gelte es Barrieren abzubauen und Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Migranten zu ergreifen.

Auch im Zuge der Finanzkrise sei es dringend notwendig, eine Reform der Zuwanderungspolitik voranzutreiben, heißt es in dem Bericht "Barrieren überwinden: Migration und menschliche Entwicklung". Die Renten- und Gesundheitssysteme der meisten Industriestaaten halten der demografischen Talfahrt nicht mehr stand. Selbst bei einer verstärkten Zuwanderung müssen immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentner versorgen. Dadurch wird der Generationenvertrag gefährdet. Das Kernproblem ist die niedrige Geburtenrate in den Industrieländern.

Während die Weltbevölkerung weiter anwächst, schrumpft Europas Einwohnerzahl. So stand Deutschland 1950 mit 68 Millionen Einwohnern noch an siebter Stelle der Weltbevölkerung, während Brasilien zum Beispiel damals nur 53 Millionen Menschen zählte. Doch 2050 wird es ohne Zuwanderung nur noch 58 Millionen Deutsche geben, aber 250 Millionen Brasilianer.

Wollen die EU-Staaten ihr Arbeitskräftepotenzial und damit ihren wirtschaftlichen und sozialen Standard erhalten, sind sie auf Zuwanderungen angewiesen. Die weltweit eine Milliarde Migranten helfen nach der Uno-Studie Armut zu senken und tragen zur wirtschaftlichen Entwicklung zahlreicher Länder bei.

So schickten Migranten im Jahr mehr als 300 Milliarden Dollar an Angehörige in ihren Heimatländern. Das sei viermal so viel wie die gesamte Entwicklungshilfe, die im Jahr 2007 gewährt wurde. In vielen ärmeren Ländern machten diese Überweisungen einen erheblichen Teil der Verbraucherausgaben aus. Die Gastländer profitierten von gezahlten Steuern der Migranten und von wachsender Produktivität.

Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass es die meisten Wanderungsbewegungen weltweit nicht zwischen Entwicklungsländern und entwickelten Ländern gebe. Die überwiegende Mehrheit ziehe im eigenen Land um. Nach Schätzungen sind rund 740 Millionen Menschen "Binnenmigranten", fast viermal mehr als Auswanderer. Knapp 200 Millionen Menschen ziehen in benachbarte Entwicklungsländer um. Und nur 70 Millionen Einwohner armer Länder versuchten ihr Glück in den reichen Ländern. "Die Bewegung aus den Entwicklungs- in die Industrieländer betrifft nur eine Minderheit", sagt die Hauptautorin des Berichts, Jeni Klugman. "Nur ein Prozent der Menschen, die in Afrika geboren werden, zieht zum Beispiel nach Europa."

Zu den Migrationsursachen heißt es, die Lebenschancen seien weltweit extrem ungleich verteilt: "Diese Ungleichheit ist der wichtigste Antrieb für Migration." Ängste in den Zielländern vor einer zu starken Zuwanderung seien aber unbegründet. So habe der massive Zustrom von Migranten in den EU-Staaten in den vergangenen Jahren weder zur Verdrängung von einheimischen Arbeitern noch zu steigender Arbeitslosigkeit geführt. Ein einheitliches Profil von Migranten gibt es nach dem Report nicht. Sie sind Obstpflücker, Krankenschwestern, politische Flüchtlinge, Bauarbeiter, Wissenschaftler oder EDV-Programmierer.

Die Strategien der Zielländer zielten im Allgemeinen darauf, besser ausgebildete Menschen aufzunehmen. Häufig versuchten Regierungen, Menschen mit geringem Bildungsstand ins Land zu holen und dann wieder wegzuschicken. "Sie behandeln Saisonarbeiter und irreguläre Arbeitnehmer manchmal gerade so wie Wasser, das man durch Auf- und Zudrehen des Wasserhahns beliebig fließen lassen kann", heißt es in dem Bericht.

"Es kann zu einem großen Gewinn für die menschliche Entwicklung werden, wenn Barrieren für Zu- und Abwanderung gesenkt und die Migranten besser behandelt werden", erklärt die Uno. Sie plädiert für Reformen, die sich mittel- bis langfristig auszahlen. Dazu gehöre auch die "stärkere Öffnung bestehender Zuwanderungskanäle".

Migranten hätten einen Anspruch auf wesentliche Rechte und den Zugang zur Grundversorgung. Es sei zugleich ein Schlüsselelement menschlicher Freiheit zu entscheiden, wo man leben möchte.