Zwei unfreundliche Worte reichten, um den bis dato recht unscheinbaren Abgeordneten Joe Wilson zu einer Ikone der Konservativen in den USA zu machen.

Hamburg/Washington. Am 9. September hatte US-Präsident Barack Obama bei einer gemeinsamen Sitzung beider Häuser des Kongresses für seine umstrittene Gesundheitsreform geworben und dabei darauf hingewiesen, dass die finanziellen Wohltaten für Unversicherte natürlich nicht den Illegalen in den USA zugute kommen würden. Obwohl dies auch aus dem Reformplan der Demokraten so hervorgeht, keifte Wilson erregt dazwischen: "You lie! Sie lügen!" Obama stutzte, schüttelte nur den Kopf und fuhr fort. Während das Repräsentantenhaus und US-Vizepräsident Joe Biden den Hinterbänkler rügten und Wilson sich bei Obama für den größten Eklat im Kongress seit Jahrzehnten entschuldigte, brach eine Flut von Solidaritätsbekundungen konservativer Reformgegner los. Bei einer Kundgebung in Washington hielten Obama-Gegner Plakate mit der Aufschrift "Schickt ihn nach Kenia zurück" hoch.

Für den früheren US-Präsidenten Jimmy Carter ist der Skandal um Wilson und der erbitterte Streit um eine staatliche Absicherung für rund 47 Millionen unversicherte Amerikaner Ausdruck von Rassismus. "Ich glaube, eine überwältigende Portion der Feindseligkeiten gegenüber Präsident Obama beruht auf der Tatsache, dass er ein schwarzer Mann, ein Afroamerikaner ist", sagte Carter dem US-Sender NBC. Der Demokrat und Friedensnobelpreisträger war 1977 bis 1981 der 39. Präsident der USA. Carter sagte, eine "rassistische Neigung" existiere auch weiterhin in den Vereinigten Staaten. Sie sei im Zuge der Debatte um die Gesundheitsreform an die Oberfläche gekommen, weil viele weiße Bürger nicht nur im Süden der USA der Ansicht seien, "dass Afroamerikaner nicht qualifiziert sind, dieses großartige Land zu führen". Das sei eine "abscheuliche Tatsache, die mich traurig macht". Dass Obama-Gegner den Präsidenten mit Hitler verglichen hätten, sei nicht einfach ein Auswuchs der Gesundheitsdebatte. "Das geht tiefer", sagte Carter.

Wilson weigerte sich, auch vor dem Repräsentantenhaus eine Entschuldigung auszusprechen - was dazu führte, dass das Haus erstmals in seiner 220-jährigen Geschichte einen Abgeordneten wegen Unterbrechung des Präsidenten verurteilte - mit 240 zu179 Stimmen.