Edward Kennedy kämpfte noch für sein Land, als sein Tod schon nahte. Ohne ihn wäre womöglich nicht Barack Obama Präsident geworden.

Amerika trauert, die Amerikaner, gleich welcher politischen Farbe, verneigen sich vor einem großen Patrioten. Das ist keine Floskel. Kein Politiker war bei seinen Gegnern beliebter, keiner genoss mehr Respekt bei denen, die seine Überzeugungen verfluchten und bekämpften, als Edward Moore "Ted" Kennedy. Der jüngste der drei Brüder und der einzige, der alt werden durfte, starb in der Nacht zum Mittwoch mit 77 Jahren an den Folgen eines Gehirntumors.

Barack Obama wurde gegen zwei Uhr in der Früh in seinem Feriendomizil auf Martha's Vineyard mit der Nachricht geweckt. Um 2.25 Uhr übermittelte er Kennedys Frau Vicki sein Beileid. "In fünf Jahrzehnten trug jedes wichtige Gesetz, das das Wohlergehen der Amerikaner voranbrachte, seinen Namen", ließ der Präsident später mitteilen, "unser Land hat einen großen Führer verloren, der die Fackel seiner gefallenen Brüder aufnahm und der größte Senator unserer Zeit wurde."

Die Flaggen wehen auf halbmast. Pietät dämpft den Marktschreierton der Kabelsender. Die Gespräche über den Mann und den lange angekündigten Tod, der in dieser Familie der gewaltsamen Tragödien fast als Gnade erschien, sind geschmackvoll. Selbst das Gelächter ist warm. Republikaner wie Demokraten erzählen Anekdoten, die von der Großherzigkeit Ted Kennedys zeugen. Von dem donnernden Lachen und Schulterklopfen, mit dem er Pat Buchanan ("Here comes our right winger") zu begrüßen pflegte. Von irischen Trinkliedern zu Weihnachten vor einem Freund, der nach einem Schlaganfall die Sprache verloren hatte. Von der Umarmung, mit der er die Tochter des Watergate-Einbrechers Gordon Liddy bei ihrer Schulabschlussfeier in Schutz nahm, "Dein Vater ist stolz auf dich, alles wird gut werden" flüsterte Kennedy, ein Erzfeind Richard Nixons, dem unglücklichen Mädchen zu, dessen Vater im Gefängnis saß. "Vergesst links, rechts, gemäßigt, was auch immer", sagte Trent Lott, langjähriger Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, im Februar, als Kennedy zum letzten Mal das Haus besuchte, wo er 46 Jahre lang gewirkt hatte, "er ist ein verdammt netter Kerl."

Mit letzter Kraft und unter großen Opfern hatte Ted Kennedy am 25. August vergangenen Jahres auf dem Parteitag der Demokraten in Denver seine "Fackel" an Barack Obama und die nächste Generation weitergegeben. Delegierte weinten, Fremde hielten einander bei den Händen, als er die Sätze wiederholte, die er nach der Aufgabe seiner eigenen Kandidatur um die Präsidentschaft 1980 sprach: "Die Arbeit beginnt aufs Neue, die Hoffnung erhebt sich noch einmal und der Traum lebt weiter." Kennedys Wahlempfehlung, um die alle demokratischen Bewerber gebuhlt hatten, war im Frühjahr ein spektakulärer Prestigegewinn für Obama gewesen. Und ein Affront für Hillary und Bill Clinton, die ihn beschworen hatten, Neutralität zu wahren. Es hieß damals, seine Nichte Caroline, die Tochter JFKs, habe ihn für Obama eingenommen. Er verausgabte sich im Wahlkampf für den jungen Mann, den er im Senat nur kurze Zeit erlebt hatte. "Ich bin stolz, ein (Links-)Liberaler zu sein", donnerte der Volkstribun, der seinen Furor früh aus der Geburt in die berühmteste Patrizierfamilie Amerikas gezogen hatte. Niemand besaß mehr Glaubwürdigkeit bei Industriearbeitern und Gewerkschaftern als Ted Kennedy, der sich für den Staat Massachusetts seit 1962 für ihre Belange schlug. Unter Latinos genossen die Kennedys besonders hohes Ansehen, seit Robert Kennedy sich Anfang der 1960er-Jahre zu seiner Freundschaft mit César Chávez, dem legendären Führer der Landarbeiter-Gewerkschaft, bekannt hatte. Zudem konnten nicht einmal Kennedys Lieblingsfeinde bei den Republikanern seine enorme gesetzgeberische Erfahrung leugnen. Ted Kennedy stand unter den amtierenden Senatoren an zweiter Stelle der Anciennität im noblen Oberhaus der USA. Nur die Senatoren Byrd (seit 1959)und Thurmond (gestorben 2003)dienten länger in der Kammer. Doch ihr Einfluss verblasst neben Kennedy, der sich als Anwalt der Anwaltlosen und Randständigen seine Bewunderer und Verächter ehrlich verdient hatte. Einwanderung, Bürgerrechte, Erziehung, Umwelt und über allem sein lebenslanges Engagement für ein faires, jeden Amerikaner absicherndes Krankenkassensystem trieben ihn an. Die Leidenschaft des großartigen Redners konnte verletzen, die Leidenschaft des Gesprächsuchenden konnte versöhnen. In einer Umfrage der Zeitung "Hill" wählten ihn Republikaner 2008 in einer Rangliste für "Überparteilichkeit" auf Platz eins.

"Jeder kennt meinen Onkel Teddy als den Löwen des Senats, Ikone der Liberalen, Kämpfer für die weniger Begünstigten", notierte Arnold Schwarzenegger, Ehemann von Kennedys Nichte Maria Shriver. "Ich kenne ihn als Fels seiner Familie: liebender Ehemann, Vater, Bruder und Onkel." Es war die Zeit Ende Mai 2008, als die Nachricht von der Diagnose eines unheilbaren Gehirntumors das Land lähmte. Freunde und Gegner verfielen, ohne es zu wollen, in den rühmenden, wehmütigen Ton eines Nachrufs. Ted Kennedy verbat sich freundlich scherzend solche verfrühten Ehrungen. Es trieb ihn, geschwächt von Operation und Chemotherapie, immer wieder nach Washington. Man sah ihn mit Stock, Hut und schwerem Mantel in der Eiseskälte des Inaugurationstags; Stunden später erlitt er einen Zusammenbruch. Für einen Augenblick strich Furcht über die feiernde Menge in der Hauptstadt, der glückliche Tag könne mit seinem Tod enden.

Man täte Edward Kennedy Unrecht, erwähnte man nicht seine Enttäuschungen und Tragödien. Alkohol, Frauengeschichten, eine riskante Man-lebt-nur-einmal-Lust kosteten ihn den Traum, Präsident zu werden. Er hätte 1968 und 1972 die Nominierung der Demokraten haben können. Als er 1979 die Wahl an sich reißen wollte, vermochte er nicht zu erklären, warum er Präsident werden wollte, und verlor hoch gegen Jimmy Carter. Wer weiß, ob er 77 Jahre alt geworden wäre, wäre er dem Weißen Haus nahe gekommen. Manche sagen, der Autounfall von Chappaquiddick 1969, als Edward Kennedy Fahrerflucht beging und wohl auch eine fahrlässige Tötung an seiner mutmaßlichen Geliebten und durch die Macht der Familie irgendwie durchkam, habe den Mann gebrochen. Das sah das Preiskomitee des "George-H.-W.-Bush-Preises für hervorragende Verdienste in öffentlichen Ämtern" anders. Dass sich der Patriarch des demokratischen vom Patriarchen des republikanischen Präsidentenklans auszeichnen ließ, konnten Parteigänger beider Lager kaum fassen. George Bush stand zu seinem Preisträger; er stellte sich zusammen mit ihm vor als "Amerikaner, die ihr Land lieben und für es das Beste wollen".

Die Auszeichnung ging an den Mann, der seine Stimme gegen das Ermächtigungsgesetz zum Irak-Krieg "die wichtigste in 44 Jahren" nannte. Kennedy wurde zum strengsten Kritiker des jüngeren Bush. Er schimpfte den Irak-Krieg vor dem Senat einen "Betrug, erfunden in Texas". Was man den Amerikanern "Woche um Woche" erzählt habe, sei nichts als "Lügen über Lügen über Lügen". So sprach der große, zornige, gewichtige, bisweilen übergewichtige "Pate" der Demokraten. Der 43. US-Präsident, George W. Bush, verwahrte sich matt gegen die "unzivilen" Vorwürfe. Er hatte in besseren Zeiten, vor "9/11", mit Kennedy ein Erziehungsgesetz erarbeitet und war ihm so nahe gekommen, dass die beiden im Weißen Haus den Film "Thirteen Days" über JFK in der Kuba-Krise sahen.

Tragik durchzog sein Leben. John und Robert ermordet, Ted kam 1964 bei einem Flugzeugabsturz knapp mit dem Leben davon. Zwei Kinder erkrankten an Krebs; sein Sohn Patrick, der letzte Kennedy in einem öffentlichen Amt, ruinierte seine Karriere im Kongress durch Depression und Drogen. Ted Kennedy hatte nicht seinesgleichen. Amerika ist ärmer ohne ihn.