Geheimdienst reagiert entrüstet, Vilnius dementiert. Flugbücher wurden gefälscht, um Häftlingstransporte zu tarnen.

Hamburg/Washington. "Das ist unverantwortlich!", schäumte CIA-Sprecher Paul Gimigliano. "Die Gefahren liegen auf der Hand, wenn man derartige Anschuldigungen sendet: Solche Behauptungen können, zumindest potenziell, Millionen Menschen einer direkten Bedrohung aussetzen." Was den Geheimdienstmann so entrüstete, war eine brisante Enthüllung des US-Senders ABC News.

Gegenüber dessen Reporter hatten frühere CIA-Beamte eingeräumt, dass es außer Polen und Rumänien noch einen dritten, bislang unbekannten Standort in Europa für ein CIA-Foltergefängnis gegeben hat: Litauen.

Danach hat die litauische Regierung dem amerikanischen Geheimdienst für mehr als ein Jahr lang ein Gebäude am Stadtrand der Hauptstadt Vilnius zur Verfügung gestellt. Bis zu acht Terror-Verdächtige sollen dort inhaftiert gewesen sein; Ende 2005 sei die Einrichtung geschlossen worden, nachdem die Weltöffentlichkeit durch Berichte von ABC News und der Washington Post Kenntnis von den umstrittenen "blacksite-prisons" der CIA erlangt hatte.

Unterlagen über Flugbewegungen, die ABC News vorliegen, zeigten, dass es mehrfach Flüge von CIA-Maschinen in den baltischen Staat gegeben habe. Offenbar wurden den europäischen Luftfahrtbehörden aber falsche Flugpläne gegeben, um die CIA-Flüge zu tarnen: Eine Maschine, die in Vilnius landete, war dann offiziell in Helsinki angekommen.

Die ehemaligen CIA-Agenten berichteten dem Sender, dass es insgesamt acht derartiger Einrichtungen gegeben habe. Bislang waren die Standorte Thailand, Afghanistan, Irak, Marokko, Polen und Rumänien identifiziert worden. Diese Gefängnisse dienten nach den Anschlägen vom 11. September 2001 dazu, Gefangene, die man für al-Qaida-Kämpfer hielt, zu befragen. Die brutalen Methoden dieser "Befragungen" - darunter das berüchtigte "Waterboarding", bei dem der Häftling das Gefühl hat, zu ertrinken oder auch Schlafentzug bis zu elf Tagen, sind von US-Präsident Barack Obama als "Folter" bezeichnet worden. Er hat sie unmittelbar nach Amtsantritt verboten.

Bei den Häftlingen, die dem CIA-Befragungsprogramm unterworfen waren, handelte es sich unter anderem um die 9/11-Verdächtigen Chalid Scheich Mohammed, Ramsi Binalshib und Abu Zubayda. Sie wurden als "HVD" geführt - "High Value Detainees" - Häftlinge von hohem Wert für die CIA im Kampf gegen den Terrorismus.

Ein früherer Geheimdienstmann teilte mit, die Regierung von US-Präsident George W. Bush habe den Litauern gar nichts dafür bieten müssen, um sich an dem CIA-Programm zu beteiligen: "Das war nicht nötig - die waren froh, dass wir ihnen zuhörten." Die litauische Botschaft in Washington dementierte den ABC-Bericht kühl. Sprecher Tomas Gulbinas sprach von "Gerüchten und Interpretationen".

Nach der Enthüllung des Programms durch die US-Medien ließ Bush damals Häftlinge aus den drei europäischen Gefängnissen zunächst in den Irak und nach Afghanistan und schließlich nach Guantánamo bringen.

Während in den USA eine Debatte darüber tobt, wie weit man Gesetzesübertretungen des Geheimdienstes rechtlich aufarbeiten soll, könnte das CIA-Programm auch in Polen, Litauen und Rumänien ein rechtliches Nachspiel haben. Alle drei Staaten haben die Anti-Folter-Konvention der Uno und die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Mit der indirekten Beteiligung an einem Folter-Programm wären auch nationale Gesetze gebrochen. Polen hat eine entsprechende Untersuchung bereits angeordnet.