Nach einer dreiwöchigen Irrfahrt ist die Besatzung des finnischen Holzfrachters gerettet worden. Die 15 russischen Seeleute wurden von einem Kriegsschiff ihres Landes an Bord genommen.

Hamburg. Nach einer knapp dreiwöchigen Irrfahrt ist die Besatzung des finnischen Holzfrachters "Arctic Sea" wieder freigekommen. Vor den Kapverdischen Inseln, rund 300 Kilometer vor Westafrika, wurden die 15 russischen Seeleute von einem Kriegsschiff ihres Landes an Bord genommen. Mit U-Booten, einer Fregatte und Flugzeugen hatten die Russen nach dem Schiff tagelang gesucht, nachdem es verschollen war. "Die Crew ist gesund und stand nicht unter bewaffneter Bewachung", sagte der russische Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow, ohne weitere Details zu nennen. Das Rätselraten über die Hintergründe der vermuteten Kaperung des Schiffes hält daher weiter an. Zu ungewöhnlich sind die Umstände: Mitten in Europa vor der Küste von Schweden war das Schiff überfallen worden. "Piraten in der Ostsee?", fragten Zeitungen besorgt. Dann verschwand das Schiff angeblich von den Radarschirmen der Küstenwachen.

Offizielles Ziel war Algerien, wohin es eine Ladung Holz im Wert von rund 1,3 Millionen Euro transportieren sollte. Jetzt tauchte es im Atlantik auf. Ein "kleiner handlicher Frachter, der sich abseits der Routen gut verkrümeln kann, aber hochseetüchtig ist und überall hinkommen kann", wie ein Hamburger Reederei-Kaufmann sagte. Spekulationen gebe es in der Branche daher viele. Wollte das Schiff tatsächlich nach Westafrika zu einem der Krisenherde wie in Nigeria? Oder war es sogar mit einer brisanten Ladung auf dem Weg um das Kap der Guten Hoffnung herum bis in den Iran? "Ich vermute ganz stark, dass dort Waffen unter der Ladung versteckt sind und die Besatzung irgendwie festgesetzt worden ist", sagt Kapitän Iko Eiben, Vorsitzender des Verbands Deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere. "Das waren keine Piraten, das war etwas anderes", so Eiben. Klar sei nur, dass dieser Fall in der jüngeren europäischen Seefahrtgeschichte bisher einzigartig ist. "Mir ist so etwas bisher nicht bekannt gewesen", so Eiben.

Tatsächlich begann die Irrfahrt der "Arctic Sea", als sei sie im Golf von Aden und nicht in der Ostsee unterwegs gewesen. Am 24. Juli raste ein Schlauchboot vor Schweden nahe der Insel Gotland auf das Schiff zu. Bewaffnete gaben sich zunächst als Drogenfahnder aus, durchsuchten den Frachter und misshandelten Crewmitglieder. Die Männer verschwanden wieder, und das unter der Flagge von Malta fahrende Schiff fuhr weiter. Am 28. Juli meldete es sich in der Straße von Dover per Funk bei der britischen Küstenwache - so wie es in europäischen Gewässern üblich ist. Über das Automatische Identifikationssystem AIS und Radar sind Schiffe in den küstennahen Seefahrtswegen jederzeit erkennbar.

Ungewöhnliche Schiffsbewegungen oder ein Abweichen von den viel befahrenen Schifffahrtswegen werden in der Regel kontrolliert. Trotzdem verlor sich später angeblich die Spur, der Funkkontakt brach ab. Im August gab es dann unterschiedliche Positionsmeldungen, die funkgesteuerte Kennung war offensichtlich abgeschaltet. Am 12. August schaltete sich schließlich die russische Marine in die Suche ein. Spekulationen schossen ins Kraut: Piraten, Mafia, sogar geheime Regierungsaufträge schienen plötzlich als Hintergrund für das mysteriöse Verschwinden möglich.

Am 14. August meldete dann die EU, dass es vor Portugal einen zweiten Überfall auf die "Arctic Sea" gegeben habe. Die Position sei wieder bekannt, hieß es, sie werde aber aus "taktischen Gründen" nicht bekannt gegeben. Am 15. August erhält die Reederei eine Lösegeldforderung, zahlt aber nicht. Zwei Tage später sind die Seeleute frei - das Rätsel um das Schiff aber lange noch nicht geklärt. Es soll jetzt nach Dakar gebracht werden und dann mit neuer Crew sein Ziel in Algerien anlaufen, hieß es bei der Reederei.