Die Hamas-Regierung ließ mehr als 90 Mitglieder der Organisation Dschund Ansar Allah in Gewahrsam nehmen. Die al-Qaida droht mit Vergeltung.

Jerusalem. Es war am Freitag gegen ein Uhr mittags, als Scheich Abdul Latif Mussa in einem heruntergekommenen Viertel der Stadt Rafah die Gründung eines "islamischen Emirats" im Gazastreifen ausrief. Mit schwer bewaffneten und teils maskierten Kämpfern war er in die Ibn-Taimija Moschee eingezogen und hielt der Hamas vor laufenden Fernsehkameras eine Gardinenpredigt. Die Hamas achte nicht auf die Einhaltung der Scharia, des islamischen Gesetzes, und verhalte sich wie eine "weltliche Regierung", schalt er die Machthaber. Er bat die Gläubigen um ihre Unterstützung für sich und seine Organisation, die Armee der Helfer Gottes (Dschund Ansar Allah), und warnte die Hamas vor dem Versuch, die Moschee zu stürmen. Da war die Moschee schon von zahlreichen Hamas-Polizisten und Kämpfern des militärischen Flügels der Hamas, der Issedine-al-Qassam-Brigaden, umzingelt. Die anschließenden Kämpfe dauerten bis in die frühen Morgenstunden und kosteten 28 Menschen das Leben - darunter zwei Kindern. Mehr als 100 weitere Menschen sollen verletzt worden sein. Scheich Mussa und einige seiner Gefolgsleute flüchteten sich schließlich ins Haus des Predigers. Als sich ihnen ein hochrangiger Befehlshaber der Issedine-al-Qassam-Brigaden als Unterhändler näherte, brachten sie ihre Sprengstoffgürtel zur Explosion.

Gestern kehrte in Gaza dann schon wieder Ruhe ein. Mehr als 90 Mitglieder der Organisation seien in Gewahrsam genommen worden, schrieb der stellvertretende Polizeichef von Rafah auf der Webseite der Polizei. Auch die verbliebenen Anhänger der Dschund Ansar Allah scheinen es nicht auf eine länger andauernde Konfrontation anzulegen. Die Reaktion der Hamas-Regierung sei "übereilt" gewesen, hieß es in einer Erklärung der Gruppe. Jeder, der sage, "es gibt keinen Gott außer Allah", könne nicht des Unglaubens bezichtigt werden, versuchte die Gruppe ihre Angriffe auf die Hamas abzuschwächen.

Auf einer dem Terrornetzwerk al-Qaida nahestehenden Webseite hingegen drohte eine andere Gruppe namens "Islamische Schwerter der Gerechtigkeit" mit Vergeltung. Der Hamas stünde nun ein Krieg bevor, hieß es dort. Die Bevölkerung von Gaza solle jenen Moscheen fernbleiben, die "von Ungläubigen wie (Hamas-Ministerpräsident) Ismael Hanija" und anderen Mitgliedern der Hamas Regierung besucht würden. Hanija sagte, die Hamas-Regierung habe unbedingt gegen die Dschund Ansar Allah vorgehen müssen, da die Gruppe die "Legitimität der Regierung" infrage gestellt habe.

Die Armee der Helfer Gottes hatte erstmals im Juli mit einem von Israel vereitelten Anschlag auf sich aufmerksam gemacht. Ein Sprecher der Hamas, Taher al-Nunu, sagte, die Gruppe sei außerdem für eine Reihe von Bombenanschlägen auf Internetcafés, Friseursalons, CD-Läden, Cafés und Restaurants im Gazastreifen verantwortlich. Die Mitglieder seien "psychisch gestört". Man habe zudem mehrmals vergeblich versucht, sie von einer "moderneren Lesart" des Islam zu überzeugen.

Viele Radikalislamisten wünschen sich eine strengere Form des Islam im Gazastreifen, in dem die Hamas das Sagen hat. Nicht selten sind es aber auch ehemalige Hamas-Kämpfer, die vom relativ zurückhaltenden Auftreten ihrer Organisation enttäuscht sind.