Delegierte klagen über fehlenden Rechenschaftsbericht. Präsident Abbas muss die Wogen glätten.

Bethlehem. Auf dem Pausenhof der Terra-Sancta-Schule in Bethlehem sitzen drei ältere Herren, lachen, rauchen und scheinen sich prächtig zu amüsieren. Drinnen tagt der sechste Generalkongress der palästinensischen Fatah-Partei, doch die drei haben offensichtlich nicht das Gefühl, etwas Wichtiges zu verpassen: "Wir erholen uns von den Strapazen der Arbeitsgruppen gestern", sagt einer und lacht. Abdul Hassan ist aus Tunesien angereist, wo vor 20 Jahren der letzte Kongress stattfand. "Ich hätte nie gedacht, dass die Israelis mich einreisen lassen", wundert er sich. "Ich hätte nie gedacht, jemals die Heimat wiederzusehen. Ich stand doch auf deren roter Liste."

Aber Israel hat sich erstaunlich kooperativ gezeigt: Ein paar Dutzend Delegierten aus den Feindesländern Syrien und Libanon wurde die Anreise erlaubt, selbst die Verwicklung in Terroranschläge war kein Hindernis. Für viele der alten Fatah-Aktivisten ist der Kongress dann auch mehr ein großes Klassentreffen, wo man alte Freunde und Kampfgenossen wiedersehen kann. Die jüngere Generation - deren Angehörige allerdings auch schon alle um die fünfzig sind - aber hegte andere Hoffnungen. Sie haben in beiden Intifaden gekämpft, oft Jahre in israelischen Gefängnissen verbracht und ringen nun um eine Führungsrolle in der Partei, sie wollen Bewegung in die verkrusteten Verwaltungsstrukturen bringen. Man kann sich vorstellen, welch ein Schock es für die alte Garde gewesen sein muss, als mehrere Hundert Delegierte das Fehlen eines Rechenschaftsberichts für die Aktivitäten der vergangenen 20 Jahr monierten. Das hätte sich zu Jassir Arafats Zeiten niemand getraut.

Fast hätte der Kongress wegen des Streits frühzeitig abgebrochen werden müssen. Nur die Intervention von Präsident Mahmud Abbas verhinderte das Schlimmste. Kurzerhand erklärte der Präsident seine mehr als zwei Stunden lange Eröffnungsrede zum Ersatz für den fehlenden Rechenschaftsbericht. Nicht alle Delegierten waren damit glücklich. Das sei wieder typisch und zeige, dass die Fatah sich nicht wirklich verändern wolle, sagte Dschibril Mukabi, ein Nachwuchspolitiker aus dem Westjordanland. Die alte Garde habe Hunderte von Pseudo-Delegierten ernannt, um ihren Sieg sicherzustellen, sagte ein anderer Delegierter.

Entgegen dem ursprünglichen Zeitplan fanden die Wahlen für die Parteigremien nicht gestern statt, und der Kongress wurde auf unbestimmte Zeit verlängert. Die Delegierten konnten sich nämlich auch noch nicht einigen, ob und wie die rund 400 Fatah-Delegierten aus dem Gazastreifen an den Wahlen teilnehmen dürfen. Die den Gazastreifen kontrollierende Hamas hatte den Fatah-Politikern die Ausreise verweigert. Einige Delegierte verlangten deshalb, den in Gaza Verbliebenen nicht nur das Stimmrecht per Telefon einzuräumen, sondern auch ein Drittel der Sitze in den Gremien für die Gaza-Delegierten zu reservieren.

Ob mit oder ohne Gaza-Delegierte: Mit einer Revolution rechnet kaum jemand. "Wir sind es gewohnt, Sklaven zu sein", sagt Hossam Chader und spielt wohl auf die autokratische Herrschaft eines Arafat an. Und deshalb werde bei der Fatah die Führung traditionell auch dann wiedergewählt, wenn sie versagt habe.