100-Tage-Bilanz: Der Staatschef hat noch kein Wahlversprechen umgesetzt. Im Gastgeberland der Fußball-WM 2010 kocht der Volkszorn.

Hamburg. Wie ein Buschbrand breiten sich die sozialen Unruhen am Kap aus - und das im südafrikanischen Winter. Genau 100 Tage ist der neue südafrikanische Präsident Jacob Zuma heute im Amt, doch kein einziges seiner Wahlversprechen hat er umgesetzt - von der sozialen Wende bis zum "besseren Leben für alle". Jetzt kocht der Volkszorn über. In den Townships brennen Autoreifen und Barrikaden, die Polizei feuert mit Gummigeschossen und Tränengas auf Demonstranten.

Gestern streikten Zehntausende Beschäftigte im öffentlichen Dienst und legten so fast alle Städte lahm. In Johannesburg plünderten einige Demonstranten Geschäfte und warfen Müll auf die Straßen. Zwölf Menschen wurden verletzt, 30 weitere wurden festgenommen.

Vom Bauarbeiter bis zum Kumpel bis hin zu den Ärzten haben in Südafrika inzwischen Millionen von Beschäftigten zumindest vorübergehend die Arbeit niedergelegt. Die Angestellten in der Chemie-, in der Petro- und der Papierindustrie haben gestern ihren zehntägigen Streik beendet, nachdem ihnen die Arbeitgeber neun Prozent mehr Gehalt zugesagt haben.

Es geht den Demonstranten aber nicht nur um mehr Geld und den Ausbau der Sozialsysteme. Tatsächlich handelt es sich um den klassischen Fall enttäuschter Träume. Denn es sind die einstigen Anhänger Zumas, die jetzt auf die Straßen gehen - obwohl sie ihm im April einen haushohen Wahlsieg über die ANC-Eliten beschert haben. Gewerkschaften, die Linke und die ANC-Basis glaubten dem Volkstribun, dass er die Nöte der Massen verstünde. Dass er für menschenwürdige Wohnungen, für Strom und fließendes Wasser sorgen würde, dass er 500 000 Arbeitsplätze bis Ende des Jahres schaffen werde. Doch jetzt habe der "Zulu-Boy", so die Zeitung "Trouw", nicht Wort gehalten.

400 000 Südafrikaner haben inzwischen ihre Arbeit verloren. 42 Prozent von ihnen kommen finanziell kaum über die Runden. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 23,5 Prozent, tatsächlich wird sie auf 40 Prozent geschätzt. Südafrika ächzt unter der schwersten Rezession seit 17 Jahren. Die Inflationsrate liegt bei acht Prozent, das Minuswachstum bei 6,4 Prozent. Und wäre die Fußball-Weltmeisterschaft mit ihrem 70 Milliarden Euro teuren Infrastrukturprogramm nicht, wäre das Minus zweistellig ausgefallen.

Zur globalen Finanzkrise kann die linksgerichtete Zuma-Regierung zwar nichts, doch die Schere zwischen Arm und Reich klafft auch 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid immer weiter auseinander. Während 90 Prozent am Kap so wenig verdienen, dass sie nicht einmal steuerpflichtig sind, macht eine neue Elite mit einem ausgeprägten Hang zum Luxus von sich reden - darunter mehrere Minister, die sich als erste Amtshandlung üppig ausgestattete Dienstwagen zum persönlichen Gebrauch zulegten.

"Viele Arbeiter sind frustriert", sagt Patrick Craven, Sprecher des Gewerkschaftsbundes Cosatu dem "Wall Street Journal". "Sie selbst sollen ihren Lebensstandart immer mehr einschränken, während ihre Bosse immer mehr Geld verdienen."

Zuma selbst hat sich bisher nur einmal öffentlich zu der Streikwelle geäußert. In seiner Heimatprovinz KwaZulu-Natal bat er seine Anhänger am vergangenen Wochenende um Geduld beim Aufbau seiner Administration. "Die Probleme, die wir in unseren Townships sehen, sind die Mahnung an uns, dass vieles in Ordnung gebracht werden muss", sagte Zuma. "Aber es gibt keinen Grund für diese Gewalt. Lasst uns zusammenarbeiten."

Die Führung der Gewerkschaften der Kommunalarbeiter Samwu, und der kommunalen Angestellten Imatu riefen gestern zu friedlichen Aktionen auf. Währenddessen wiesen die Kommunen die Forderung nach 15 Prozent mehr Lohn als überzogen zurück.