Es geht um den Abbau von Atomsprengköpfen in einem Start-I-Nachfolgevertrag – aber Moskau bleibt misstrauisch wegen des geplanten US-Raketenschutzschirms in Osteuropa.

Moskau. Michelle Obama hatte ihren beiden Töchtern Malia (11) und Sasha (7) vorsorglich Mäntel übergestreift, bevor sie sie in Moskau-Wnukowo aus der Wärme der Präsidentenmaschine "Airforce One" hinausließ. Sie hatte gut daran getan, denn das Wetter in der russischen Hauptstadt war bei der Ankunft von US-Präsident Barack Obama und seiner Familie kühl und trübe.

Rein klimatisch also kein besonders angenehmes Umfeld für den "Neustart" in den amerikanisch-russischen Beziehungen, wie ihn Obama im Vorfeld seines ersten offiziellen Besuchs in Russland angekündigt hatte. Ein Wunschziel, von dem auch sein Gastgeber, der russische Präsident Dmitri Medwedew, vorab gesprochen hatte. Beide wollen die vergangenen eisigen Jahre vergessen machen.

Obama begab sich gleich nach seiner Ankunft zum Grabmal des Unbekannten Soldaten, wo er einen Kranz niederlegte. Diese an sich nicht ungewöhnliche Geste wurde von der russischen Führung mit besonderer Genugtuung beobachtet. Sie fühlt sich in jüngster Zeit von angeblichen Versuchen verfolgt, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs neu zu interpretieren, zum Schaden des russischen Staates, wie man im Kreml meint. Da lässt sich ein amerikanischer Präsident, der an der Kreml-Mauer mit der Hand auf dem Herzen den unbekannten Helden des großen Vaterländischen Krieges ehrt, zur Erbauung der Bürger im weiten Land trefflich ins Bild setzen.

"Wir haben mehr Verbindendes als Trennendes", versicherte Obama anschließend im Kreml. Er erinnerte seinen Gastgeber an die "hervorragenden Diskussionen", die sie Anfang April am Rande des Weltwirtschaftsgipfels (G20) in London geführt hätten. Daran wolle er in den beiden Tagen seines Aufenthalts anknüpfen. Medwedew erwiderte, er sehe mit dem Besuch Obamas in Moskau gute Chancen, in allen Bereichen "wichtige, mutige Entscheidungen zu treffen". Zumindest im Bereich der Abrüstung strategischer Waffen sind Russland und die USA jetzt schon einen Schritt weiter. Nach jahrelanger Sprachlosigkeit unterzeichneten Medwedew und Obama eine Rahmenvereinbarung, in der sie sich für den baldigen Abschluss eines Nachfolgevertrags für den im Dezember auslaufenden Start-I-Vertrag aussprechen. Der aus dem Jahr 1991 stammende und 2002 modifizierte Vertrag gesteht beiden Ländern je 1700 bis 2200 Atomsprengköpfe zu. Diese Zahlen sollen jetzt noch einmal kräftig zusammengestrichen und auch die Trägersysteme einbezogen werden.

Obama hatte bereits die Zahl von 1000 Kernsprengköpfen in die Debatte geworfen. Die russischen Militärs bestehen auf mindestens 1500. Wiktor Kremenjuk, stellvertretender Direktor des renommierten USA-Instituts, betrachtet diese Differenzen als sehr ernst. Moskau sei den USA im konventionellen Bereich deutlich unterlegen. Die Absicht der USA, ein globales Raketenabwehrsystem zu schaffen, verschärfe das Ungleichgewicht. Amerika könnte sich dann weitgehend vor russischen Raketen schützen, Russland aber nicht vor amerikanischen. "Den USA würden 1000 oder nur 500 strategische Waffen reichen, wir dagegen bräuchten das Zwei- bis Dreifache", sagte Kremenjuk.

Die russische Strategie, den geplanten Raketenschirm mit dem Start-I-Nachfolgevertrag zu verknüpfen, wird die Experten noch vor einige Probleme stellen. Dass Obama das Projekt vorläufig auf Eis gelegt hat, wird von der russischen Seite als nicht überzeugend angesehen, sie will das schriftlich haben. Zwei weitere Punkte sind ebenfalls strittig. Die Russen wollen, dass die Amerikaner ihrem Beispiel folgen und die überzähligen Nuklearsprengköpfe vernichten und nicht, wie bisher, einlagern. Und sie monieren die US-Pläne, hochpräzise konventionelle Sprengköpfe auf strategische Raketen zu montieren. Die russische Seite ist besorgt, da sie nicht verifizieren kann, was für ein Sprengkopf sich auf den Raketen befindet.

Heute wird sich der US-Präsident auch mit Premierminister Wladimir Putin treffen. Obama hatte ihn in einem fruchtlosen Versuch, Premier und Präsident auseinanderzudividieren, als einen Mann charakterisiert, der mit einem Bein in der Vergangenheit und mit einem Bein in der Zukunft steht. Putin konterte mit einer leicht anzüglichen Bemerkung: "Wir vermögen es nicht, mit breit gemachten Beinen zu stehen. Wir stehen fest auf unseren Beinen und schauen in die Zukunft."