Das Verhältnis zwischen Amerika und Westeuropa gilt als unproblematisch. Das Augenmerk der USA richtet sich auf den Osten.

Hamburg. Ist alles in Ordnung im deutsch-französischen Verhältnis? In der Dreiecksgeschichte Deutschland, Europa, USA, seit auch in Washington ein Führungswechsel stattgefunden hat? Ja und nein. Ja, weil Frankreich sich - wenn man so will - europäisch zurückgemeldet hat. Weil die transatlantischen Animositäten überwunden sind, weil sich alle drei erkennbar um eine bessere Abstimmung ihrer Politiken bemühen. Nein, weil sich die Welt am Ende des 20. Jahrhunderts verändert hat und weiter nachhaltig verändern wird. Was meine ich damit?

Folgendes: Amerikas strategische Sicht auf die Welt und speziell auf Europa hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges verändert. Europa bleibt Partner der USA und umgekehrt, steht aber nicht mehr im Mittelpunkt des amerikanischen strategischen Interesses. Europa gilt, vor allem im Westen, dem alten Europa, als befriedet und keiner besonderen Fürsorge mehr bedürftig. Amerika blickt heute vor allem nach Osteuropa und darüber hinaus auf den Mittleren Osten, auf Zentralasien und auf die neuen asiatischen Mächte, China und Indien zuerst. Deutschland wird noch immer wahrgenommen als wichtiges europäisches Land, ist aber nicht mehr ganz so wichtig, wie es als Konfliktland im Kalten Krieg gewesen ist. Die Türkei ist heute aus amerikanisch-strategischer Sicht wichtiger als Deutschland - ein Blick auf die Landkarte lässt erkennen, warum. Die ersten Auslandsbesuche von Hillary Clinton und Präsident Obama zeigen zudem sehr deutlich die amerikanische Sicht. Frau Clinton fuhr nicht zuerst zu den europäischen Verbündeten, sondern nach Asien und eben auch in die Türkei. Obama fuhr zum G20-Gipfel nach London, kam zum NATO-Jubiläum nach Deutschland und Frankreich, die das Geburtstagsfest gemeinsam ausrichteten, fuhr weiter zum EU-Amerika-Gipfel nach Prag, besuchte die Türkei und unterstützte deren baldige EU-Mitgliedschaft, die Merkel und Sarkozy ablehnen. Amerika richtet Verhandlungsofferten an die muslimische Welt, an den Iran (verfrüht, finde ich), an Russland, Indien und bemüht sich um ein besseres Verhältnis zu seinen lateinamerikanischen Nachbarn. Europa? Als Global Player wird Europa nicht, nicht mehr oder noch nicht wahrgenommen. Dabei hätte Europa durchaus das Potenzial, eine globale Rolle zu spielen, wenn es einig wäre, mit einer Stimme spräche, seine Fähigkeiten und Kräfte bündelte. Das aber geschieht nicht, weil es an Führung mangelt - die deutsch-französische Führungsleiste ist noch nicht wieder wirksam und anerkannt; und weil wir in der EU eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Tendenz zu Renationalisierung erkennen; heftig in einigen osteuropäischen Ländern, aber nicht nur dort, auch in einzelnen westeuropäischen Ländern gibt es populistisch-nationale Entwicklungen, in den Niederlanden z.B. schwächer in Frankreich und Deutschland, aber auch dort unübersehbar.

Keine Sorge: Ich sehe weder Deutschland noch Frankreich auf dem Weg zurück in eine nationalstaatliche Vergangenheit; aber ich sehe auch keine größeren Integrationsfortschritte in der EU. Und an eine integrierte europäische Außenpolitik glaube ich schon gar nicht. Ich jedenfalls werde das nicht erleben. Was nicht heißt, dass ich pessimistisch und ohne Hoffnung wäre. Das nicht, weiß ich doch, weil ich es miterlebt habe, dass Europa alles in allem eine unglaubliche Erfolgsgeschichte ist, die entweder gar nicht oder schlecht erzählt wird, wie die jüngsten Europawahlen gezeigt haben. Es werden noch viele Jahre vielleicht Jahrzehnte ins Land gehen, ehe Europa wird, wovon die Sozialdemokraten schon 1925 in ihrem Heidelberger Programm und Winston Churchill 1949 in seiner Züricher Rede gesprochen hat: Die Vereinigten Staaten von Europa. Für dieses Ziel zu arbeiten, bleibt dennoch oder eben deshalb die selbst gewählte Aufgabe der deutschen, der französischen, der europäischen Politik.

Der Abgeordnete Hans-Ulrich Klose ist SPD-Außenexperte.