Fast eine Stunde lang redete US-Präsident Barack Obama in Kairo. Er sprach über die ganz persönlichen Erfahrungen eines Christen mit dem Islam. Wir dokumentieren die wichtigsten Passagen seiner Ansprache.

Wir kommen zu einer Zeit zusammen, die geprägt ist von Spannungen zwischen den USA und den Muslimen in aller Welt. (...) Gewalttätige Extremisten haben diese Spannungen benutzt, um eine Minderheit der Muslime zu beeinflussen, die klein, aber mächtig ist. Die Anschläge vom 11. September 2001 und die weiteren Versuche dieser Extremisten, Gewalt gegen Zivilisten zu richten, haben bei vielen Amerikanern den falschen Eindruck erweckt, dass die islamische Welt unvermeidbar feindselig zum Westen und zu den Menschenrechten überhaupt steht. (...)

Ein Neuanfang

Ich bin hierhergekommen, um einen Neuanfang zwischen den Vereinigten Staaten und den Muslimen in aller Welt zu suchen, basierend auf gemeinsamen Interessen und gegenseitigem Respekt und basierend auf der Erkenntnis, dass sich Amerika und der Islam nicht ausschließen und nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Vielmehr überschneiden sich beide und haben gemeinsame Werte. Die Werte Gerechtigkeit und Fortschritt, Toleranz und die Menschenwürde. Ich erkenne an, dass diese Veränderung nicht über Nacht passieren kann. Keine einzige Rede kann Jahre des Misstrauens ungeschehen machen. (...)

Beide Seiten müssen aufeinander hören, voneinander lernen, sich respektieren und nach Gemeinsamkeiten suchen. Wie uns der Heilige Koran sagt: "Sei Dir Gottes bewusst und sage immer die Wahrheit." Das ist es, was ich versuchen werde. Die Wahrheit zu sagen, so gut ich kann, demütig angesichts der vor uns liegenden Aufgabe, aber stark in meinem Glauben, dass die Interessen, die wir als Menschen teilen, weit stärker sind als die Kräfte, die uns trennen.

Ein Teil dieser Überzeugung beruht auf meiner eigenen Erfahrung. Ich bin Christ, aber mein Vater stammte aus einer kenianischen Familie, in der es seit Generationen Muslime gab. Als Junge habe ich mehrere Jahre in Indonesien verbracht und den Gebetsruf Asaan im Morgengrauen und beim Sonnenuntergang gehört. Als junger Mann habe ich in Gemeinden in Chicago gearbeitet, wo viele in ihrem muslimischen Glauben Würde und Frieden fanden. (...)

Der amerikanische Islam

Durch die ganze Geschichte hat der Islam durch Worte und Taten die Möglichkeiten religiöser Toleranz und der Gleichheit von Menschen verschiedener Hautfarben gezeigt. Ich weiß auch, dass der Islam immer ein Teil der Geschichte Amerikas war. (...) Seit der Staatsgründung haben amerikanische Muslime die USA bereichert. (...) In jedem Bundesstaat gibt es eine Moschee, mehr als 1200 Moscheen im ganzen Land. (...)

Ich sehe es als Teil meiner Aufgabe als US-Präsident, gegen negative Stereotypen über den Islam anzukämpfen, wo auch immer diese auftreten. Aber das gleiche Prinzip muss für die muslimische Wahrnehmung Amerikas gelten. So wie Muslime nicht in ein grobes Klischee passen, so entspricht Amerika nicht dem groben Klischee eines Imperiums, das nur seine eigenen Interessen verfolgt. (...)

Der Extremismus

Das erste Problem, dem wir uns stellen müssen, ist gewaltsamer Extremismus in jeder Form. In Ankara habe ich klar gesagt, dass Amerika nicht mit dem Islam im Krieg ist - und dies nie sein wird. Wir werden uns jedoch ohne Unterlass gegen gewalttätige Extremisten stellen, die eine große Bedrohung für unsere Sicherheit sind.

Weil wir dieselben Dinge ablehnen, die auch Menschen aller Glaubensrichtungen ablehnen: das Töten unschuldiger Männer, Frauen und Kinder. Und als US-Präsident ist es meine erste Aufgabe, die Menschen Amerikas zu beschützen. (...)

Der 11. September

Ich bin mir bewusst, dass manche die Anschläge vom 11. September infrage stellen oder rechtfertigen. Aber lassen Sie uns hier klar sein: Al-Qaida hat an diesem Tag fast 3000 Menschen getötet. Die Opfer waren unschuldige Männer, Frauen und Kinder aus Amerika und aus vielen anderen Ländern, die nichts getan hatten, um irgendjemandem zu schaden. (...) Wir wollen unsere Truppen nicht länger in Afghanistan lassen. Wir wollen dort (langfristig) keine Militärstützpunkte haben. Es ist schmerzhaft für Amerika, unsere jungen Männer und Frauen dort zu verlieren. (...) Keiner von uns sollte diese Extremisten tolerieren. Sie haben in vielen Ländern getötet. Sie haben Menschen unterschiedlichen Glaubens getötet - und mehr als alle übrigen haben sie Muslime getötet. (...) Der Heilige Koran lehrt uns, dass wenn wer auch immer einen Unschuldigen tötet, es so ist, als habe er die ganze Menschheit getötet.

Der tiefe Glaube von mehr als einer Milliarde Menschen ist um vieles größer als der engstirnige Hass einer kleinen Gruppe. Der Islam ist nicht Teil des Problems, wenn es um die Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus geht, sondern ein wichtiger Teil zur Förderung des Friedens. (...)

Der Irak-Krieg

Im Gegensatz zu Afghanistan war der Irak(-Krieg) eine Entscheidungssache, und er hat in meinem Land und in der Welt große Meinungsverschiedenheiten ausgelöst. Obwohl ich glaube, dass die Iraker ohne die Tyrannei von Saddam Hussein letztlich besser dran sind, so glaube ich auch, dass die Ereignisse im Irak Amerika daran erinnert haben, dass wir Diplomatie und einen internationalen Konsens zur Lösung unserer Probleme nutzen sollten, sofern dies möglich ist. (...)

Israel und Palästina

Die zweite Hauptquelle für Spannungen, die wir besprechen müssen, ist die Situation zwischen Israelis, Palästinensern und der arabischen Welt. Amerikas starke Verbindung mit Israel ist altbekannt. Diese Verbindung ist unzerbrechlich. Sie fußt auf kulturellen und historischen Verbindungen und der Erkenntnis, dass die Hoffnung auf ein jüdisches Heimatland ihre Wurzel in einer tragischen Geschichte hat, die nicht geleugnet werden kann. (...)

Morgen werde ich Buchenwald besuchen, das Teil eines Netzwerks von Lagern war, wo Juden im Dritten Reich versklavt, gefoltert, erschossen und vergast wurden. Sechs Millionen Juden wurden getötet. (...)

Auf der anderen Seite ist es auch nicht anzuzweifeln, dass die Palästinenser - Muslime und Christen - bei der Suche nach einem Heimatland gelitten haben. Seit mehr als 60 Jahren erleiden sie den Schmerz der Vertreibung. (...)

Sie erleiden täglich Demütigungen - große und kleine -, die mit der Besetzung einhergehen. Deswegen gibt es hier keinen Platz für Zweifel: Die Lage der Palästinenser ist nicht zu tolerieren. Amerika wird der legitimen palästinensischen Hoffnung auf Würde, Chancen und einen eigenen Staat nicht den Rücken zuwenden. (...)

Wenn wir diesen Konflikt nur von der einen oder der anderen Seite betrachten, dann werden wir blind sein für die Wahrheit: Die einzige Lösung ist die Erfüllung der Erwartungen beider Seiten, mit zwei Staaten, wo Israelis und Palästinenser jeweils in Frieden und Sicherheit leben. Das ist in Israels Interesse, im palästinensischen Interesse, im amerikanischen Interesse und im Interesse der Welt. (...) Zu viele Tränen wurden schon geweint. Zu viel Blut wurde vergossen. Wir alle tragen Verantwortung dafür, dass es einen Tag geben wird, an dem die Mütter von Israelis und Palästinensern ihre Kinder ohne Angst aufwachsen sehen. (...)

Iran und Atomwaffen

Die dritte Quelle von Spannungen ist unser gemeinsames Interesse an den Rechten und der Verantwortung von Ländern mit Atomwaffen. (...) Der Iran hat sich über viele Jahre durch die Gegnerschaft zu meinem Land definiert, und es gab tatsächlich eine wechselhafte Geschichte zwischen uns. (...) Es wird schwierig sein, die Jahrzehnte des Misstrauens zu überwinden, aber wir werden mit Mut, Geradlinigkeit und Lösungswillen weitermachen. (...) Und jedes Land - und auch der Iran - sollte das Recht auf die friedliche Nutzung der Atomenergie haben, sofern es sich an seine Auflagen unter dem Atomwaffensperrvertrag hält. (...) Die Unterdrückung von Ideen sorgt nie dafür, dass sie verschwinden.

Frauenrechte

Ich wehre mich gegen die Ansicht einiger im Westen, dass eine Frau, die ihr Haar bedeckt, nicht gleichberechtigt ist. Aber ich weiß, dass eine Frau, die keinen Zugang zu Bildung hat, nicht gleichberechtigt ist. (...) Unsere Töchter können genauso viel zur Gesellschaft beitragen wie unsere Söhne. Frauen müssen nicht die gleichen Entscheidungen treffen wie Männer, um auf Augenhöhe zu sein. Ich respektiere Frauen, die für sich eine traditionelle Rolle wählen - solange es ihre eigene Entscheidung ist. (...)

Friede auf Erden

Wir alle teilen uns diese Welt für einen kleinen Moment. Die Frage ist, ob wir uns in dieser Zeit auf das konzentrieren, was uns auseinandertreibt, oder ob wir uns einem Unterfangen verpflichten, in einer andauernden Bestrebung, Gemeinsamkeiten zu finden, uns auf die Zukunft zu konzentrieren, die wir für unsere Kinder wollen, und die Würde aller Menschen zu achten. Es ist einfacher, Kriege zu beginnen, als sie zu beenden. (...) Wir sollten den richtigen Weg gehen, nicht den einfachen Weg. (...)

Wir haben die Macht, die Welt zu schaffen, die wir wünschen, aber nur, wenn wir den Mut zum Neubeginn haben, eingedenk dessen, was geschrieben steht. Der Heilige Koran sagt uns, der Menschheit, wir sind als Männer und Frauen geschaffen. (...) Der Talmud sagt uns, die ganze Tora hat zum Ziel, Frieden zu schaffen. Die Heilige Bibel sagt uns, selig seien die Friedensstifter, sie sollen Söhne Gottes genannt werden. Die Menschen dieser Welt können in Frieden zusammenleben. Wir wissen, das ist Gottes Wille. Jetzt ist es unsere Arbeit hier auf Erden.

Danke. Und möge der Friede Gottes mit euch sein.