Linksruck nach dem Beinahe-Bankrott. Der Inselstaat setzt auf weibliche Macht und drängt in die Europäische Union. Bilder zur Finanzkrise in Island.

Reykjavik. So haben die meisten ihrer Anhänger sie noch nie gesehen. Johanna Sigurdardóttir reißt siegessicher die Arme hoch, als sie ihre Wahlparty im Grandhotel in Reykjavik betritt. Sie winkt und - was bei ihr nur sehr selten vorkommt - lächelt. "Unsere Zeit ist gekommen!", ruft Sigurdardóttir ins Mikrofon. Es ist die Nacht zum Sonntag, die Neuwahlen haben sie gerade als Premierministerin bestätigt und nach 18 Jahren konservativer Regierung einen Linksrutsch ausgelöst. Sigurdardóttirs weißes Haar liegt wie ein Kranz um ihren Kopf, über dem schwarzen Pullover trägt sie lässig eine weiße Weste.

Die weiße Weste birgt Symbolik. Die Sozialdemokratin Johanna Sigurdardóttir (66) verdankt ihren 30-Prozent-Sieg bei den vorgezogenen Wahlen der Finanzkrise, die Island bis ins Mark erschüttert hat. Die früheren Machthaber wie Ex-Premier Geir Haarde, der Finanzminister, der Zentralbankchef und der Chef der Finanzaufsicht hatten ihre Ämter Ende Januar nach wochenlangen Protesten niedergelegt. Johanna Sigurdardóttir steht für den Neuanfang, obwohl sie seit 30 Jahren im Parlament sitzt, neun Jahre davon als Sozialministerin.

Ihr Einsatz für die sozial Schwachen, ihr hartes Vorgehen gegen Korruption und ihre gnadenlose Ehrlichkeit haben ihr den Spitznamen "Heilige Johanna" eingebracht. Dass sie mit einer Frau verheiratet ist, interessiert die Isländer nicht weiter.

Es ist kein Zufall, dass eine Frau die Regierungsgeschäfte übernommen hat, als das Land am Boden war. Viele Isländer haben genug von der männerdominierten Elite. Die hohe Inflation, steigende Arbeitslosigkeit und der Verlust internationaler Anerkennung als stabiler Wirtschaftsstandort sind Folgen der Finanzgeschäfte, die die isländischen Banken in aller Welt tätigten.

"Viele Isländer besinnen sich jetzt wieder auf ihre alten Werte", sagt Helgi Gunnlaugsson, Soziologieprofessor an der Universität Island. "Die vergangenen Jahre waren wie ein Rausch des Geldes: ein dicker Kredit, ein großes Haus, ein Sommerhaus, ein Auto, noch ein Kredit."

Das ist jetzt vorbei. Die 30 Top-Manager der mittlerweile verstaatlichten Banken haben sich ins Ausland abgesetzt. Mehr Frauen an der Spitze, das ist der Wunsch vieler Isländer. "Frauen sind vorsichtiger und umsichtiger als Männer", sagt auch Hrund Steingrimsdóttir, die Tochter eines ehemaligen Regierungschefs.

Das lässt sich mit Fakten belegen: Audur Capital, die einzige Firma im isländischen Finanzsektor mit Gewinnen im vergangenen Jahr, wird von zwei Frauen geleitet. Die Wahlergebnisse spiegeln die Hoffnung auf einen Sieg der weiblichen Werte: 27 der 63 Sitze im Parlament werden zukünftig von Frauen besetzt. Zweitstärkste Partei nach den Sozialdemokraten ist die konservative Unabhängigkeitspartei mit knapp 24 Prozent der Stimmen, unter der sich Island binnen 18 Jahren von einem Naturparadies in ein Finanzlabyrinth verwandelte. "Vielleicht waren wir zu geduldig mit der konservativen Partei und hätten die Neuwahlen früher anstreben sollen", sagte Sigurdardóttir dem Abendblatt.

Ob ihre bisherige Koalition mit den Linksgrünen, dem Juniorpartner während der zweimonatigen Übergangsregierung, weiterbestehen wird, ist unsicher: Während die Sozialdemokraten ihren Wahlkampf auf eine Bewerbung um eine EU-Mitgliedschaft ausgerichtet hatten, sind die Linksgrünen strikt dagegen. Wahlsiegerin Sigurdardóttir reckte die Faust in die Luft: "Unsere Zeit ist gekommen." Eine Anspielung auf ihren trotzigen Ausruf vor 15 Jahren, als sie im Rennen um den Parteivorsitz ausgestochen wurde: "Meine Zeit wird kommen", hatte sie damals versprochen.